Mercedes-Benz Actros L 1845 LS Pro Cabin Streamspace

Leseprobe
Experten-Fahrbericht: Actros L im neuen Gewand

von | 13. November 2024

Die neue Generation des Actros L für die Langstrecke übernimmt die ursprünglich mit dem eActros 600 vorgestellte Pro Cabin. Ein neues Getriebe gibt es obendrein.
Foto: Ralf Becker

Noch gibt der Actros L mit Pro Cabin ein exotisches Bild ab. Mit Hochlauf der Serienfertigung wird sich das schnell ändern.

Von wegen „innere Werte“: Wenn es um die Aerodynamik geht, ist die äußere Hülle das A und O. Schwere Lkw bilden von dieser Regel keine Ausnahme, und auch die Antriebsfrage gerät darüber in den Hintergrund. Ob Diesel oder sonstige Verbrenner, Elektro- oder Brennstoffzellen-Lkw: Neben dem Roll- und Steigungswiderstand bildet für alle der Luftwiderstand den erbittertsten Gegner.

Dass Mercedes-Benz Trucks seinen batterieelektrischen und Diesel-Flaggschiffen eActros 600 und Actros L gleichermaßen die neue, aerodynamisch optimierte „Pro Cabin“ verpasst, ist nur folgerichtig. Worüber sich die Elektro-Fraktion dagegen kaum Gedanken machen muss, sind CO2-Emissionen – zumindest, wenn es abseits von Stromherkunfts-, Produktions- und Recyclingfragen um den reinen Fahrbetrieb geht. Für Verbrenner summiert sich insbesondere bei der deutschen Maut in die Gesamtkosten noch die CO2-Emissionsklasse hinein, wobei für Diesel die Klasse 3 den Bestfall bedeutet. Gegenüber Klasse 2 beträgt die Ersparnis für einen fünfachsigen Lastzug 0,8 ct/km. Setzt man im Jahr beispielhaft 125.000 mautpflichtige Kilometer an, ergibt das einen glatten Tausender.

Lange Rede, kurzer Sinn: Vor diesem Hintergrund sind die neuen Varianten des Actros L mit Pro Cabin, 450- oder 480-PS-Motor und G291-Getriebe zu sehen, die sich beim Ziehen aller aerodynamischen und sonstigen spritsparenden Register in die günstigste Diesel-Mautkategorie einsortieren lassen. Noch vor dem Produktionsstart im Dezember 2024 hatte die Truckexperten-Redaktion Gelegenheit, einen entsprechenden Actros L 1845 über die Testrunde zu bewegen – allerdings ohne Verbrauchsermittlung, denn dafür war das Vorserienfahrzeug (mit zudem nur knapp 2.200 Kilometern auf der Uhr) nicht ausgelegt.

Foto: Ralf Becker

Das Cockpit präsentiert sich wie in den bisherigen Actros L, neuerdings sind aber die Mirrorcam-Bildschirme schmaler eingefasst.

Antriebsquelle ist der 12,8 Liter große OM 471, der so etwas wie den „Brückenverbrenner“ hin zum batterieelektrischen und Brennstoffzellen-Zeitalter darstellt. Denn während Daimler Truck dem OM 471 Mitte 2022 in dritter Generation nochmals einige Optimierungen spendierte, treten die 10,7- und 15,6-Liter-Varianten OM 470 und OM 473 jetzt doch schon einige Jahre auf der Stelle (in Nordamerika kommt als „inoffizieller“ OM 472 der 14,8 Liter große Detroit Diesel DD15 hinzu, aber der spielt in Europa keine Rolle). Wie dem auch sei: Jene 2022er Überarbeitungen beinhalten unter anderem ein erweitertes Top-Torque-Programm für die 450- und 480-PS-Versionen. Konkret: 200 Nm Drehmoment zusätzlich im Fahrprogramm „A Standard“ in den Gängen 7 bis 12.

Just in diesem Fahrprogramm lief denn auch die Testfahrt ab, und siehe da: Mit 40 Tonnen können auch 450 PS Spaß machen. Sei es beim Anzug von der Kreuzung weg, beim Überholen oder am Berg: Mit 2.400 statt der nominellen 2.200 Nm Drehmoment beißt sich der 1845 L immer wieder fest und kitzelt mit der „prädiktiven Volllast“ noch einige Körner zusätzlich raus. Denn nicht nur am Fuß einer Steigung, sondern auch in flacheren Passagen in einem langen Berg drin übersteuert der PPC-Tempomat regelmäßig die Setzgeschwindigkeit um einige km/h, um maximalen Schwung zu holen – dem Schreiber dieser Zeilen hat´s gefallen, und der Mehrzahl der Fahrer dürfte es genauso gehen.

Neues Getriebe aus Südamerika

Als überraschend straff, aber nicht unangenehm, erweist sich die Gesamtabstimmung der Federung, obwohl Mercedes beim Testwagen das vollluftgefederte Fahrgestell sogar mit vier Luftfederbälgen an der Kabinenlagerung kombiniert (statt der sonst Actros-üblichen Komfort-Stahlfederung). Auf flacher Autobahn bleibt es zudem merklich leiser als in der Vergangenheit, woran geringere Windgeräusche in der aalglatten Pro Cabin ebenso ihren Anteil haben wie das niedrigere Drehzahlniveau: Mit der jetzt 2,278 : 1 lautenden Standard-Achsübersetzung für den Fernverkehr liegen bei testüblichen 85 km/h nur noch knapp 1.050 Umdrehungen an.

In Kombination mit der langen Achse hat Daimler Truck das Zwölfgang-Powershift-Getriebe G291-12 aus dem Ärmel gezogen – oder besser gesagt bei den Kollegen von Mercedes-Benz do Brasil beschafft: Rund um den Zuckerhut gibt es das Getriebe schon länger. Im Vergleich zu den hierzulande sonst üblichen Varianten G 211-12 und G 281-12 weist der Südamerika-Import eine breitere Spreizung auf: Statt von 1,0 bis 14,93 reicht die Übersetzung von 1,0 bis 16,46, was eher einem ZF Traxon entspricht (1,0 bis 16,69). Dabei geht es weniger um die Abstufung in den oberen Gängen, als vielmehr darum, mit der langen Achse rangierbar zu bleiben. Bedienung und Funktionsumfang entsprechen ansonsten dem bekannten Powershift-Schema.

Foto: Dirk Stranz

Die Kurvengeschwindigkeit für den Tempomatbetrieb lässt sich in fünf Stufen einstellen, je nach Beladung und Streckenkenntnis.

Bei den aktuellen Sicherheitssystemen wie Active Brake Assist 6, Active Sideguard Assist 2 und Front Guard Assist betont Daimler Truck, dass die Funktionsumfänge noch weit über die Vorgaben der General Safety Regulation hinausgehen. Als neues Feature addieren sich die „Connected Traffic Warnings“ hinzu, die auf einem System von Bosch basieren. Auf der Basis von Schwarmdaten aus Pkw und Lkw sollen Fahrer quasi in Echtzeit Warnungen vor bevorstehenden Risiken erhalten, seien es Falschfahrer und Unfälle oder Wettereinflüsse wie Glatteis, Starkregen oder Wind. Im Vorserienfahrzeug war das System bereits mit entsprechenden, unübersehbaren Warnsymbolen in die digitalen Instrumente integriert.

Nicht neu, aber immer noch ein Actros-Highlight ist der vorausschauende Tempomat auch für die Landstraße, inklusive einstellbarer Kurvengeschwindigkeiten. Im Selbstversuch auf der Handlingstrecke erschien Stufe 3 zwar etwas übervorsichtig, aber das fairerweise auf vertrautem Terrain und mit tiefem Ladungsschwerpunkt im ausgeladenen Trailer. Auf unbekannter Strecke ist das System allemal hilfreich, und schließlich lassen sich auch andere Einstellungen oder die komplette Abschaltung vornehmen. Letzteres betrifft auch die Tempolimit-Erkennung, die – der Gesetzgeber will es so – eine nervige Eigenart hat: Ist der Tempomat auf Autobahn und Landstraße etwas über der Richtgeschwindigkeit eingestellt, landet man nach kurzzeitiger Deaktivierung mit dem Reset erstmal wieder bei strikten 80 bzw. 60 km/h. Das, wie gesagt, lässt sich abschalten, aber dann sind leider auch so nützliche Funktionen wie das selbstständige Ausrollen vor Kreisverkehren oder Ortseingängen passé – das muss eben jeder im Einzelfall selbst entscheiden.

Aerodynamik im Mittelpunkt

Zur Pro Cabin, mit acht Zentimeter vorgereckten Kinn in windschnittiger Silhouette, gehört in der strömungsgünstigsten Variante ein Aerokit, das die obligatorischen Seitenschürzen (mit Gummiverlängerungen), Dach- und Seitenspoiler ebenso umfasst wie eine Unterbodenplatte, A-Säulen-Verkleidungen, Radvollblenden und engere Radhausverkleidungen. Fugen und Spalten gibt es so gut wie keine mehr und zusätzliche Dichtungen entkoppeln den Motorraum von der Außenströmung. Keine Frage der Aerodynamik, aber mittlerweile fast selbstverständlich: Weitere Spritspar-Elemente wie eine geregelte Wasserpumpe und ein zweistufiger, abschaltbarer Luftpresser.

Die Radvollblenden gibt es momentan ausschließlich für 315/70er Reifen, wobei die schicken Teile am Testwagen mit leuchtend grünen, aber nur aufgeklebten Zierstreifen kein reguläres Zubehör darstellen: Die zusätzlich aufgepeppte Optik ist der Vorgeschichte des 1845 als IAA Messemodell geschuldet, was auch einige weitere schicke, aber aerodynamisch kontraproduktive Details erklärt. Dazu zählen die Drucklufthörner auf dem Dach ebenso wie die äußere Sonnenblende am rundlichen Streamspace-Dach (bei der maximalen Gigaspace mit steilem Hochdach hat die Blende dagegen sogar aerodynamische Vorteile).

Die Aufzählung der Pro-Cabin-Varianten ist damit fast komplett: Wie zuvor stehen für den Actros L nur die hoch montierten Fahrerhäuser mit ebenem Boden und voller Breite zur Wahl, also Stream-, Big- und Gigaspace. Bei den Actros-Kabinen mit Motortunnel und/oder 2,30 Meter Breite bleibt das Sortiment vorerst wie gehabt.

Foto: Ralf Becker

Mit Ballast-beladenem Krone-Testtrailer geht es mit knapp 40 Tonnen auf Tour.

Im Vergleich zu den konventionellen Actros-Fahrerhäusern sinkt mit der Pro Cabin der cw-Wert laut Daimler um neun Prozent, was den Diesel-Lkw bis zu drei Prozent weniger Verbrauch einbringen soll. Die Inneneinrichtung bleibt dagegen weitgehend erhalten, von einigen Modellpflegemaßnahmen und neuen Optionen abgesehen. Als da wären: Statt einem Kühlschrank unter der Liege sind künftig zwei möglich, es gibt neue Sitzbezüge und Lattenroste unter den Matratzen (ausgenommen das 90 Zentimeter breite obere Bett aus dem Zubehör), funktionsreichere Bedienfelder an den Betten, zusätzliche Schwanenhals-LED-Leuchten und USB-C-Steckdosen, dickere Vorhänge und einen 230-Volt-Anschluss im Beifahrer-Fußraum. Top-Ausstattungsvariante für Alleinfahrer bleibt die beliebte Solostar-Einrichtung mit großem Tisch und Ruhesessel an der Rückwand.

Zu verzeichnen sind außerdem schmalere Mirrorcam-Monitore (wobei die Kamerabilder sind so groß wie zuvor, aber die Einfassungen schmaler und somit die Sicht daran vorbei besser). Last but not least: Endlich wird es im kommenden Jahr auch die Option geben, aus dem Zubehör eine Leiter zum oberen Bett zu bestellen.

Was das Thema Licht betrifft, sind jetzt alle Leuchten am Fahrzeug in LED-Technik ausgeführt. Erweitern lässt sich die Serienausführung mit einer zusätzlichen Einheit, die ein sogenanntes „Townlight“ (besseres Ausleuchten des Nahbereichs) und ein Abbiegelicht umfasst. Die Top-Version bilden Matrix-LED-Scheinwerfer mit zusätzlichen Features wie einer Fernlichtautomatik mit partiellem Ein-/Ausblenden.

Weitere Neuerungen sind für April 2025 angekündigt, darunter das Multimedia-Cockpit Interactive 2 mit neu konzipiertem Menü, Sprachsteuerung, erweiterter Konnektivität und zusätzlichen digitalen Diensten. Das Vorserienfahrzeug liefert schon einen Vorgeschmack, insbesondere auf die Sprachsteuerung mit Freitext-Interpretation. Praktisches Beispiel: Beim ausgesprochenen „mir ist kalt“ wird die Raumtemperatur um ein Grad erhöht, bei „mir ist sehr kalt“ um zwei Grad … Ganz schön clever, und so kommen ganz nebenbei die „inneren Werte“ doch noch zu ihrem Recht.

Technische Daten

MOTOR
Reihensechszylinder (OM 471) mit Turbolader und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, zwei obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Hochdruckeinspritzung; Euro 6E mit gekühlter AGR, Partikelfilter und SCR
Bohrung/Hub 132/156 mm
Hubraum 12.809 cm3
Nennleistung 330 kW (449 PS) bei 1.600/min
Maximales Drehmoment 2.200 Nm bei 1.100/min; 200 Nm Drehmomenterhöhung im 7. bis 12. Gang
Motorbremse: High Perfomance Engine Brake, max. 410 kW (558 PS) bei 2.300/min

KRAFTÜBERTRAGUNG
Getriebe: Mercedes-Benz Powershift G291-12, Dreigang-Grundgetriebe mit Range- und Splitgruppe, 12 Gänge, Übersetzung 16,462 bis 1,00, automatisierte Schaltung mit GPS-Tempomat (Predictive Powertrain Control) und den Fahrprogrammen Standard, Economy, Power
Hinterachse: einfach übersetzte Antriebsachse mit Differenzialsperre, Übersetzung 2,278 : 1, entsprechend 1.046 U/min bei 85 km/h im 12. Gang und Bereifung 315/70 R 22,5

FAHRGESTELL
U-Profil-Leiterrahmen, Vollluftfederung, elektrisch unterstützte Lenkung (Servotwin) mit geregelter Lenkhelfpumpe, Bereifung vorn/hinten: 315/70 R 22,5 (Bridgestone Ecopia), 3.700 mm Radstand, Integralheck (Batterien am Rahmenende), Alutanks 570 und 430 Liter, 100-Liter-Tank AdBlue, Achslast-Messeinrichtung, Reifendruckkontrolle, Druckluftbehälter Stahl;
Leergewicht Zugmaschine: 8.440 kg (mit 1.000 Liter Diesel, 100 Liter Adblue und Fahrer, ohne Retarder), Testgewicht ca. 39.800 kg

FAHRERHAUS
Mercedes-Benz Pro Cabin Streamspace, Ganzstahl-Fahrerhaus mit Hochdach, ebenem Kabinenboden und zwei Liegen; Vier-Punkt-Luftfederung; Solostar-Einrichtung (Ruhesessel und Tisch an der Rückwand), nivellierbares Komfortbett mit Lattenrost oben; Kamera-Monitor-System anstelle Haupt- und Weitwinkelspiegel (Mirrorcams); komplette Aerodynamik-Ausstattung (Dach- und Seitenspoiler, Seitenschürzen, Unterbodenplatte, A-Säulen-Verkleidungen, Radvollblenden); Klimaautomatik, integrierte Standklimaanlage, Standheizung mit Restwärmepumpe; klimatisierter Fahrer-Luxussitz mit niedrigem Sitzkasten (40 mm abgesenkt), Lederlenkrad, Kühlschrank in Schubfach unter Liege; Druckluftanschluss im Fahrerhaus; mechanische Nachtverriegelung (Cab Lock); Sonnenrollo vorne elektrisch einteilig; LED-Ambientebeleuchtung; Klapptisch auf Beifahrerseite; Sicherungsautomaten; Ausstattungsniveau ExtraLine; Multimedia Cockpit Interactive 2; Licht- und Regensensor; Matrix-LED-Scheinwerfer mit Fernlichtautomatik, Townlight und Abbiegelicht; elektronische Feststellbremse; Außensonnenblende; Drucklufthörner auf dem Dach; beleuchteter Mercedes-Stern in der Front; mechanische Kippvorrichtung; Lackierung „kristallgrün metallic“
Außenbreite/-länge: 2.482/2.380 mm
Einstieg: 365/715/1.040/1.340/1.660 mm
Frontscheibe/Rückwand 2.115 mm
Innenbreite (Scheibe-Scheibe): 2.260 mm
Innenhöhe vor Sitz/auf Motortunnel 1.840/1.900 mm
Höhe Motortunnel: – (ebener Boden)
Liege unten (B x L): 740 x 2.000 mm
Liege oben (B x L): 740 x 2.080 mm

Weitere Informationen:
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