Actros 1846 Streamspace

Experten-Test Actros 1846: Mit dem Actros auf Zeitreise

von | 1. November 2017

Vertrauter Name, aber ganz neue Erscheinung: Mit kleinem Reihensechszylinder OM 470 und Streamspace-Haus tritt der Actros 1846 heute als kräftiger und zugleich genügsamer Geselle auf.
Foto: Daimler Truck

Mit dem 10,7-Liter-Motor OM 470 tritt der 1846 Streamspace als Actros-Leichtbau auf den Plan.

Actros 1846, da war doch was? Richtig, ein Blick ins Archiv hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge: Es war Ende 2001, vor ziemlich genau 16 Jahren, als schon einmal ein Actros mit dieser Kennung zum Test antrat. Der damalige Vorspann ist erstaunlich aktuell: „Mercedes hat nachgerüstet. Relativ leichte Sechszylinder mit zirka 460 PS sind gefragt – die Antwort aus Stuttgart heißt ab sofort Actros 1846.“ Im Vergleich zu heute waren die Vorzeichen freilich ganz andere. Ging es doch damals vor allem darum, die recht große Leistungslücke zwischen dem bis dato nur maximal 428 PS starken V6 und dem 476 bis 571 PS starken V8 zu schließen.

Mal abgesehen davon, dass die V-Motoren längst Geschichte sind, kann von Leistungslücken wahrlich keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Die aktuellen 8-, 11-, 13- und 16-Liter-Reihenmotoren überschneiden sich jeweils kräftemäßig, was sich auch beim 1846 zeigt: Dessen 10,7 Liter großer Sechszylinder OM 470 rangiert in der stärksten 456-PS-Version zwischen den 449- und 476-PS-Ausführungen des 12,8-Liter- Motors OM 471. Die trumpfen aber zusätzlich mit „Top Torque“-Technik auf, die im größten Gang weitere 200 Nm Drehmoment mobilisiert und damit insbesondere auf schweren Strecken für spürbar mehr Dampf sorgt. Zudem geht es mit den größeren Motoren bei Teil- wie Volllast leiser zu, der OM 470 verschafft sich um einiges deutlicher Gehör. Der handfeste Vorteil des kleinen Motors: Rund 150 Kilogramm weniger Gewicht.

Foto: Daimler Truck

Der Arbeitsplatz in der hoch montierten Streamspace liegt gut 1,60 Meter über dem Boden.

456 PS und 2.200 Nm Drehmoment lauteten die Eckdaten des Zwölf-Liter-V6 anno 2001 und exakt dasselbe gilt für den 460er Reihenmotor heute. Die feinen Unterschiede: Ein steilerer Leistungsanstieg mit einer Nenndrehzahl von 1.600 statt seinerzeit 1.800 Umdrehungen und ein nahezu konstantes Drehmoment von rund 900 bis 1.500 Umdrehungen. Sprich, der neue Kleine hat deutlich mehr Kraft im mittleren Drehzahlbereich. Und natürlich reden wir heute über Euro 6 statt Euro 3. Mercedes setzt dafür bekanntlich auf die Kombination aus gekühlter Abgasrückführung und SCR-Abgasreinigung, hat die Verhältnisse zuletzt aber mehr in Richtung SCR verschoben. Der AdBlue- Bedarf ist also zugunsten des Dieselverbrauchs leicht gestiegen. Dabei scheint den Stuttgartern jetzt eine optimale Mischung geglückt: Mit durchschnittlich 33,0 Liter Diesel und 1,1 Liter AdBlue (entspricht 3,3 Prozent vom Diesel) absolviert der 1846 die Teststrecke, das ist in der AGR/SCR-Liga ein neuer Bestwert, den es zu unterbieten gilt.

Auf der Spar-Fahrt trägt der 1846 das hohe Streamspace, eines von elf (!) möglichen Actros-Häusern. Möglich wird die enorme Vielfalt durch zwei Breiten, fünf Dachformen und drei Montagehöhen mit flachem Boden, 170 oder 320 Millimeter hoher Motorkiste. Wenn es heißt, „Du bekommst einen neuen Actros mit Streamspace“, darf man ruhig genauer nachfragen, denn es gibt gleich vier davon: Mit 2,3 oder 2,5 Meter Kabinenbreite und ebenem Boden sowie in der schmalen Ausführung auch mit halbhohem oder hohem Motortunnel. Im Fernverkehr sollte wie beim Testfahrzeug die größte Variante selbstverständlich sein, aber man kann nie wissen.

Optional auch als "Solostar"

Sind alle Zweifel beseitigt und es steht das hohe und breite Haus auf dem Hof, gibt es nicht wirklich was zu jammern. Geboten sind gut 1,90 Meter Stehhöhe, kaum weniger als bei der nächstgrößeren Bigspace. Auch bei der Gigaspace sind es nur rund 15 Zentimeter mehr, aber entscheidend ist ohnehin die flachere, stromlinienförmige Dachlinie (der Name „Streamspace“ kommt ja nicht von ungefähr): Das Stauvolumen der vorderen Schränke schrumpft damit auf rund 165 Liter zusammen. Die Gigaspace kommt auf das Doppelte, die Bigspace liegt mit zirka 250 Liter ziemlich genau dazwischen.

Ansonsten unterscheiden sich die drei hohen Actros-Häuser nur wenig, was auch auf die lieferbaren Einrichtungsvarianten zutrifft. So ist zum Beispiel jeweils die „Solostar“-Einrichtung zu bekommen, mit Sessel und Tisch an der Rückwand, Klappliege und großem Bett oben. Das Testfahrzeug kommt dagegen mit einer Art „Alleinfahrer-light“-Ausstattung daher, mit schlichtem Beifahrer-Funktionssitz und großem Gepäcknetz statt oberer Liege. Mit dem komfortablen Bett unten lässt es sich damit solo aber prima leben, erst recht mit dem knapp 40 Liter großen Kühlschrank und den geräumigen, auch von innen erreichbaren Außenstaufächern darunter.

Foto: Daimler Truck

Schnörkellose Instrumente und eine einfache Bedienung mitsamt Auswahl der Assistenzsysteme im Actros Cockpit.

Zu den weiteren Annehmlichkeiten, sofern es das Budget hergibt, zählen der sehr bequeme Fahrer-Klimasitz mit Massagefunktion und der praktische Multifunktionsschlüssel, mit dem sich zahlreiche Fahrzeugdaten abrufen lassen; beim Testwagen zum Beispiel auch die Werte der Reifendrucküberwachung. Übrigens, da die Frage nach der Lebensdauer immer wieder auftaucht: Im Schlüssel sitzt ein Akku, der automatisch über das Zündschloss geladen wird. Das Testfahrzeug wartet außerdem mit dem Interieurkonzept „Style-Line“ auf, das mit knapp 2.700 Euro in der Liste steht. Neben zahlreichen Chromelementen am und im Fahrerhaus umfasst das Paket im Wesentlichen noch das Lederlenkrad, die beliebte Ambiente-Nachtbeleuchtung mit dimmbaren blauen Lämpchen, den beleuchteten Mercedes-Stern in der Front und Nebelscheinwerfer mit LED-Tagfahrlicht.

Bei Kurvenverhalten, Spurtreue und Lenkung zeigt sich der Actros 1846 mit luftgefederter Streamspace ausgewogen, nur die Vorderachse teilt trotz Zwei-Blatt-Federung munter Stöße aus und wirkt insgesamt etwas unruhig. Ein Gewinn gegenüber der Ein-Blatt-Feder, die letztlich auch nur 20 Kilogramm spart, ist es aber allemal – ein ausgesprochener Leichtbau ist der Actros Streamspace trotz kleinem Motor und Verzicht auf den Retarder sowieso nicht. Das Kapitel Dauerbremsen bestreitet somit allein die „High Performance“-Motorbremse, dem Wesen nach eine Jake Brake. Sie ist in drei Stufen abrufbar und kommt beim OM 470 auf eine Spitzenleistung von 462 PS bei 2.300 Umdrehungen. Das ist ordentlich, aber in langen Gefällen geht es nicht ohne Beibremsungen ab – und das trotz automatischer Abwärtsschaltungen, die bei 70 km/h auf der Landstraße und 90 km/h auf der Autobahn bei jeweils rund 2.030 Umdrehungen im 9. beziehungsweise 10. Gang landen. Die nächstkürzere Achse im Programm (2,733 : 1) würde in diesen Situationen knapp 100 Touren und entsprechend mehr Bremsleistung bringen, die gewählte 2,611 ist hinsichtlich Fahrleistungen und Verbrauch auf überwiegend mittelschwerer Strecke aber wohl insgesamt der bessere Kompromiss.

Dass Mercedes diesmal den optionalen Voith-Sekundär-Wasserretarder (SWR) eingespart hat, liegt sicher nicht an den rund 50 Kilogramm Mehrgewicht, sondern eher an der konsequenten Spritspar-Auslegung unter Testbedingungen. Denn: Auch der permanent mitdrehende Rotor des Retarders kostet etwas Energie und damit Kraftstoff – im Alltagsbetrieb kaum messbar, aber Fakt. Abkoppelbare Retarder, die derartige Schleppverluste vermeiden, liegen daher im Trend. Auch Voith ist darauf angesprungen: Bei der nächsten Generation namens ECO-SWR wird eine Kupplung den Rotor im Leerlauf von der Antriebswelle trennen.

PPC-Tempomat auf dem neuesten Stand

Doch zurück zur Gegenwart. Abgesehen von konstruktiven Maßnahmen am Motor tragen weitere Feinarbeiten zum niedrigen Verbrauch des 1846 bei. Beispiele finden sich in Form bedarfsgerecht gesteuerter Nebenaggregate wie Lichtmaschine, Wasserpumpe und Lenkhilfepumpe sowie den überarbeiteten Zwölfgang-Powershift-Getrieben, denen Mercedes geringere Reibungsverluste als zuvor bescheinigt. Nicht zuletzt wurden auch die dreidimensionalen Kartendaten für den PPC-Tempomat auf den neuesten Stand gebracht und der Software ein Update verpasst. Sobald der Geländeverlauf es sinnvoll erscheinen lässt, erweitert oder verringert das PPC-System jetzt die eingestellten Über- und Unterschwinger um bis zu 4 km/h. Ist man etwa wie im Test mit 85 plus/minus 5 km/h unterwegs, rollt die Fuhre dann teilweise mit 94 statt 90 Sachen bergab. Zwar nie länger als 45 Sekunden, um keinen Eintrag zu riskieren, aber zusätzlichen Schwung bringt das schon – wenn auch am Rande der Legalität. Dieser Vorwurf geht aber nicht nur an Mercedes, auch viele Wettbewerber steuern ihre GPS-gestützten Tempomaten mittlerweile in diese Richtung. Optimal ausgenutzt wird der Schwung jedenfalls mit dem sehr fein angesteuerten Ecoroll-Freilauf: Aus- und Einkuppeln spürt man kaum und unter rund zehn Sekunden Dauer geht nichts, es gibt also kein nerviges Hin und Her aus Gasstoß und Rollenlassen, wie das bei anderen Systemen leider schon zu beobachten war.

Foto: Daimler Truck

Unter der Liege ist alles sauber abgeschottet, der Kühlschrank im Schubfach fasst knapp 40 Liter.

Bei der Aerodynamik geht die Entwicklung ebenfalls weiter, im Detail an der neu geformten Kante des Bugspoilers zu erkennen. Als weitere Neuheit, im Testwagen noch nicht vorhanden, hat Mercedes überarbeitete Hinterachsdifferentiale in petto, die auch wieder einige Tropfen Sprit sparen sollen. Kurzum: Die Reise zu immer niedrigeren Verbräuchen ist sicher noch nicht zu Ende – mal schauen, was ein möglicher Actros 1846 im Modelljahr 2033 dann so alles auftischt.

Messwerte und Daten
Dieselverbrauch l/100 km
Gesamte Strecke: 33,0
Schwere Teilstücke: 37,6
Leichte Teilstücke: 28,4
Volllast (5 % Steigung): 94,5
Teillast (bei 85 km/h): k.A. (Baustellen)
Geschwindigkeit km/h
Gesamte Strecke: 81,5
Schwere Teilstücke: 79,2
Leichte Teilstücke: 84,0
Volllast (5 % Steigung): 61,9
AdBlue (l/100 km): 1,1 (3,3 % vom Diesel)
steigungsbedingte Schaltungen: 25
Innengeräusch Ebene (85 km/h): 66,3 dB(A)
Innengeräusch max. (Steigung): 67,5 dB(A)
Fahrgestell/Gewicht
Bereifung vorn/hinten: 315/70 R 22,5
Reserverad j/n: n
Tankgröße Diesel: 390+430 Liter
Tankgroße AdBlue: 60 Liter
Federung: Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft
Rahmenstärke: k.A.
Radstand: 3.700 mm
Retarder j/n: n
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: 7.615 kg
Testgewicht: 39.600 kg
Motor
Reihensechszylinder (OM 470 LA), Turbolader mit asymmetrischem Turbinengehäuse und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung
Abgasnorm: Euro 6c
SCR j/n: j
AGR j/n: j
Bohrung: 125 mm
Hub: 145 mm
Hubraum: 10.677 ccm
Leistung: 335 kW (455 PS) bei 1.600/min
Max. Drehmoment: 2.200 Nm bei 1.100/min
Motorbremse: 340 kW bei 2.300/min
Getriebe/Achse
Mercedes G211-12; automatisiertes Zwölfgang-Getriebe, Direktgangausführung
Übersetzung HA: 2,611
U/min bei 85 km/h (größter Gang): 1.200
Fahrerhaus
Actros Stream Space (2,5 m), Vier-Punkt-Luftfederung
Außenbreite/-länge: 2.482/2.300 mm
Einstiegsstufen: 4
Einstiegshöhe: 1.640 mm
Scheibe/Rückwand: 2.115 mm
Innenhöhe vor Sitz: 1.840 mm
Innenhöhe Mitte: 1.900 mm
Höhe Motortunnel: 0
Liege unten (B x L): 750 x 2.150 mm
Liege oben (B x L):  –

 

 

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