Leseprobe
Batterieelektrische Kipper von Renault Trucks: Spritzig im leichten Baustelleneinsatz
Strom ist laserblau – zumindest bei Renault Trucks. Selbst bei trübem Wetter strahlen die blauen Zierleisten der Elektro-Lkw-Flotte von Renault Trucks und verleihen ihr ein hochwertiges Erscheinungsbild. Nicht nur bei den Modellen für den Nah- und Fernverkehr – auch bei den Modellen der Reihe E-Tech D Wide, mit denen der Renault Trucks die Baustellen erobern will.
Drei Kipperarten am Start
Renault Trucks bietet den E-Tech D Wide in drei verschiedenen Kippervarianten an: als Dreiseitenkipper, Absetzkipper und Abrollkipper. Mit dem 18-Tonner D Wide 4×2 Dreiseitenkipper, dem 18-Tonner D Wide 4×2 Absetzkipper und dem 26-Tonner-Dreiachser D Wide 6×2 Abrollkipper konnte der Autor erste Fahreindrücke sammeln.
Los ging es mit dem zweiachsigen Dreiseitenkipper. Über zwei rutschsichere Trittstufen besteigt man sicher und ohne viel Verrenkungen das Global-Cab-Fahrerhaus. Sofort fällt auf: Auch im Cockpit findet sich das markante Blau der E-Tech-Baureihen wieder. Das Laserblau zieht sich ansprechend über das Lenkrad und umläuft das Armaturenbrett. Der Fahrerarbeitsplatz strahlt Modernität und Dynamik aus. Das Cockpit wirkt aufgeräumt, keinesfalls überladen, man sitzt bequem und hat einen guten, freien Rundumblick. Alle Modelle der E-Tech-Reihe von Renault Trucks sind mit konventionellen Seiten- und Rückspiegeln ausgestatten. Alternative Kamerasysteme bietet der französische Konzern für die Modelle seiner E-Flotte derzeit nicht an.
Zentral im Armaturenbrett befindet sich die Analog-Anzeige zum Energiefluss der Batterie – wo ebenfalls die Farben Weiß und Blau vorherrschen. Strömt Energie aus den Batterien ab, neigt sich die Nadel nach rechts in den weißen Bereich. Wird während eines Bremsvorgangs Energie in die Batterie eingespeist (Rekuperation), schlägt die Nadel nach links aus – in den blauen Anzeigenbereich. Der Ladezustand der 375 kWh fassenden Batteriepakete ist ganz links im Armaturenbrett, ebenfalls in einer Analoganzeige abzulesen. Vier Batteriepakete à 94 kWh bestehend aus Lithium-Ionen-Zellen sind am Rahmen zwischen den Achsen verbaut. Abhängig unter anderem von Beladung, Topografie und Geschwindigkeit reicht die Batteriekapazität ohne Zwischenladen laut Hersteller für bis zu 300 Kilometer Wegstrecke, was im Regelfall ausreicht für einen Tag im leichten Baustelleneinsatz.
Aufladen lassen sich die Batterien mit Wechselstrom bei einer Ladeleistung von 43 kW, beim Laden mit Gleichstrom ist eine Ladeleistung von 150 kW möglich. Wird Wechselstrom genutzt, braucht es bis zu sieben Stunden, um die Batterien zu 80 Prozent aufzuladen, bei 150-kW-Gleichstrom genügen bis zwei Stunden, um das gleiche Ladeniveau zu erreichen.
Gestartet wird der D Wide nicht etwa per Knopfdruck, sondern „klassisch“ per Zündschlüsseldreh. Auch das Gangeinlegen erfolgt beim Automatikgetriebe des D Wide nach alter Manier über einen Hebel. Ist der Gang drin, genügt sanfter Druck aufs Gaspedal und schon rollt der D Wide ganz sachte an. Sofort fällt auf, wie ruhig, fast geräuschlos es im Fahrerhaus bleibt. Auch Motorenvibrationen sind eher zu erahnen als faktisch spürbar. Dabei besitzt der D Wide ordentlich Power. Die zwei verbauten Wechselstrom-Synchronmotoren kommen zusammen in der Spitze auf 370 kW (500 PS). Als Dauerleistung stehen 260 kW, umgerechnet 350 PS zur Verfügung. Bei geringen Geschwindigkeiten und geringem Ladungsgewicht läuft nur einer der beiden E-Motoren. Der zweite wird automatisch zugeschaltet, wenn mehr Kraft benötigt wird.
In engen und kurvigen Passagen stellt der 18-Tonner mit 3.900 Millimeter Radstand seine enorme Wendigkeit unter Beweis. Dank des im Vergleich zu Verbrenner-Lkw sehr niedrigen Fahrzeugschwerpunktes (zur Erinnerung: die schweren Batterien sind tief am Rahmen angeordnet) sind sogar bei ordentlich zügigem Tempo enge Slalomkurven problemlos und flüssig zu meistern.
Auch bergauf mach der Renault Trucks D Wide eine gute Figur, ist er doch immerhin für Steigungen bis zu 18 Prozent ausgelegt. Eine zehnprozentige Steigung auf dem Testparcours nimmt der D Wide am Hang mit Bravour. Ein leicht erhöhter Druck auf das Gaspedal genügt und der Renault gleitet mit zunehmendem Tempo die Anhöhe hinauf. Dass das Fahrzeug dabei stärker gefordert ist, merkt man einzig daran, dass die Nadel in der Mitte des Armaturenbretts nun deutlicher nach rechts ausschlägt, also mehr Energie aus den Batterien abgezapft wird.
Ebenso steil, wie es bergauf ging, geht es auch bergab. Fuß vom Gas und sofort übernimmt die Motorbremse. Die E-Motoren arbeiten nun als Generatoren, wandeln Bewegungsenergie in elektrischen Strom, der zurück in die Batterien fließt. Nun verbraucht der Elektroantrieb keine Energie, sondern führt den Batterien elektrische Energie zu.
Motorbremse „tritt kräftig in die Eisen“
Die Regelung der Motorbremsleistung erfolgt mittels des links am Lenkrad positionierten Rekuperationshebels. Sechs Stufen stehen zur Wahl. In der „leichtesten“ Rekuperationsstufe ist die Bremswirkung gering. Bei der Bergabfahrt gewinnt der Truck sogar noch ganz sachte an Geschwindigkeit. Auf höchster Rekuperationsstufe „schleicht“ der mit Aufbau über elf Tonnen schwere, zweiachsige D Wide im Schritttempo den Hang hinunter, so als würde man bei einem Verbrenner die volle Motorbrems- bzw. Retarderleistung abrufen. Doch beim D Wide kommt es eben zu dem nützlichen Nebeneffekt, dass die Bremsenergie als elektrische Energie rekuperiert und in die Batterie zurückgespeist wird. Entsprechend schlägt die Nadel in der Mitte des Armaturenbretts stark nach links aus.
Was bergab sinnvoll erscheinen mag, ist auf ebener Fahrbahn eher von Nachteil. Hier wirkt die höchste Rekuperationsstufe so, als würde man in dem Moment, da man den Fuß vom Gas nimmt, voll in die Eisen steigen. Abseits der Hangabwärtsfahrt bereiten die beiden höchsten Rekuperationslevel bei der Probefahrt eher Schwierigkeiten und trüben das sichere Fahrgefühl etwas.
Der Versuch, während der Fahrt die Rekuperations-Stärke steigungssabhängig, in kurzen Abständen anzupassen, scheitert daran, dass es keine Anzeige gibt, an der die aktuell gewählte Rekuperations-Stärke abzulesen ist. Selbst der Blick auf den Hebel, der zwischen den gewählten Bremsstärken nur minimal seine Position verändert, hilft an dieser Stelle nicht weiter. Auch lässt sich die Motorbremse im Automatikmodus nicht komplett abschalten, was ein sanftes Ausrollen, etwa vor einer Ampel, verhindert.
Ausgestattet mit dem Dreiseitenkipper Trigenius D212 von Meiller wird das Leergewicht des D Wide 4×2 mit 11.005 Kilogramm angegeben. Bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 19.500 Kilogramm verbleibt eine Nutzlast von nahezu 8,5 Tonnen. Die Kipper-Hydraulik ist am elektrischen Nebenabtrieb angeflanscht, der in Spitzenlast 530 Nm bereitstellt, in Dauerlast 286 Nm.
Mit dem Absetzkipper Typ 14 TK E von VDL beträgt das Leergewicht des D Wide 4×2 laut Hersteller 12.135 kg und es verbleibt eine Nutzlast von 7.365 kg. Der dreiachsige 26-Tonner D Wide 6×2 bietet mit Teleskop-Abrollkipper-Aufbau eine Nutzlast von 14.185 kg bei einem ausgewiesenen Leergewicht von 12.815 kg.
18- und 26-Tonner sind identisch motorisiert und bieten stets ein gutes und kraftvolles Fahrgefühl. Der Wermutstropfen: Noch bietet Renault Trucks kein Modell seiner E-Flotte mit Allrad-Antrieb an. Zudem sind die elektrischen D-Wide-Modelle nicht mit robuster Blattfederung, sondern nur mit komfortabler Luftfederung an Vorder- und Hinterachse erhältlich. Die E-Trucks von Renault Trucks sind also allesamt keine waschechten Baustellenwühler.
Bei leichte Baustellen- oder Straßeneinsätze punkten die elektrischen D-Wide-Kipper mit Wendigkeit und viel Power. Für harte Off-Road-Baustellen-Einsätze oder Arbeiten in Kies- oder Lehmgruben können sie in der aktuellen Ausstattung jedoch nicht überzeugen.
Positiv zu Buche schlagen die im Vergleich zu Dieselfahrzeugen rund 30 Prozent niedrigeren Service- und Wartungskosten – das zumindest verspricht der Hersteller. Die niedrigen Geräuschentwicklung und der lokal emissionsfreie Betrieb machen die E-Tech Baustellenmodelle vor allem für Einsätze in Wohngebieten interessant. In der Anschaffung sind die E-Lkw allerdings noch immer bis zu 2,5-fach teurer als vergleichbare Diesel-Kollegen. Darüber können auch die schicken laserblauen Zierleisten der E-Tech-Flotte von Renault Trucks nicht hinwegtäuschen.