Fahrvorstellung eActros 400: Aus alt mach´ neu
Die Ankündigung datiert auf Mai 2025, jetzt macht Mercedes-Benz Trucks Nägel mit Köpfen: Auf die Ansage, bis Jahresende die bisherigen eActros 300/400 einzustellen, folgte am 30. September die Präsentation der neuen eActros-400-Generation. Wie zu erwarten, mit den Kernkomponenten des batterieelektrischen Fernverkehrs-Flaggschiffs eActros 600. Als da wären: die elektrische Antriebsachse mit zwei integrierten Elektromotoren (400 kW Dauer-/600 kW Spitzenleistung) und automatisiertem 4-Gang-Getriebe, Lithium-Eisenphosphat-Batterien (LFP) mit 800 Volt Bordspannung und im Fahrerhaus das neue Multimedia-Cockpit Interactive 2.
Den entscheidenden Unterschied liefert bereits die Typenbezeichnung: Drei LFP-Batteriepakete à 207 kWh spiegeln sich im eActros 600 wider, deren zwei im eActros 400. Dabei sind die rechnerischen Gesamtkapazitäten von 621 beziehungsweise 414 kWh zwar Brutto zu verstehen, laut Daimler Truck liegen die nutzbaren Kapazitäten der LFP-Batterien aber weniger als fünf Prozent darunter – also bei rund 600 und 400, wie es dann auch auf der Tür steht.
Dass sich hinter dieser Tür mal ein hoher und steiler Einstieg mit vier Stufen, mal ein niedriger und treppenförmiger mit drei Stufen verbirgt, resultiert aus einer weiteren Neuerung im Programm: Künftig besteht die Wahl aus der hoch montierten Pro Cabin mit ebenem Kabinenboden und den Dachhöhen Stream-, Big- und Gigaspace oder dem schmalen L-Fahrerhaus im alten Actros-Design mit 2,30 Meter Breite, 170 Millimeter Motortunnel und den Dachhöhen Classic- und Streamspace.
An dieser Stelle direkt die Abbitte: „Alt“ kommt den Mercedes-Mannen nicht über die Lippen, die Rede ist von den „bewährten“ Fahrerhäuser. Sprachregelung hin oder her, ist dennoch zu vermuten, dass sich auch bei den schmalen Kabinen bald etwa tut. Aerodynamische Aspekte dürften dabei ein wesentlicher Antreiber sein, die anstehenden Vorschriften zur besseren Direktsicht („Direct Vision“) ein anderer. Jene erhöhten Anforderungen an den unmittelbaren Sichtbereich vom Fahrersitz aus treten gemäß GSR II (General Safety Regulation) für neue Fahrzeugtypen im Januar 2026 in Kraft, verbindlich für alle Neuzulassungen dann im Januar 2029.
Doch zurück zum hier und jetzt. Bestellbar ist der eActros 400 ab sofort, die Serienproduktion in Wörth startet Ende 2025. Zum Kosten- und Nutzlastvorteil (ein Batteriepaket kommt mit allem drum und dran auf 1.400 bis 1.500 Kilogramm) addiert sich vor allem bei Sattelzugmaschinen ein handfester Pluspunkt in Richtung Hinterachslast: Dass die Problematik mit drittem Batteriepaket und der allein über eine Tonne schweren E-Achse (locker doppelt so schwer als eine konventionelle, einfach übersetzte Antriebsachse) beim eActros 600 grundsätzlich besteht, streitet man auch seitens Mercedes-Benz Trucks nicht ab. Zwar könnte es schon helfen, die Aufliegerachsen nach vorn zu schieben, aber bei der gängigen Stangenware der Trailerhersteller bleibt das ein frommer Wunsch – und neben neuen E-Zugmaschinen noch in neue gezogene Einheiten zu investieren, ist dann doch etwas viel verlangt.
Je nach Ausstattung spart ein eActros 400 mit L-Fahrerhaus gegenüber einem Actros 600 mit Pro Cabin rund zwei Tonnen. In konkreten Zahlen lässt sich das am Beispiel von 4×2-Sattelzugmaschinen ablesen: Mit Pro Cabin-Streamspace und 4.000 Millimeter Standard-Radstand kommt der eActros 600 auf rund 11,5 Tonnen Leergewicht, der eActros 400 mit L-Streamspace-Fahrerhaus und 3.700 Millimeter Standard-Radstand auf rund 9,4 Tonnen.
Der mit nur zwei Batteriepaketen mögliche kürzere Radstand kann für Einsätze im Regional- und Verteilerverkehr ein echter Vorteil sein, beispielsweise mit gelenktem Citysattel in engen Innenstädten. Generell wird es für den eActros als 4×2 und 6×2 künftig deutlich mehr Radstandsvarianten geben. Als 4×2-Fahrgestelle sind 4.000, 5.500 und 5.800 Millimeter geboten, beim eActros 400 zusätzlich 6.100 Millimeter. Als 6×2 gibt es den eActros 400/600 mit Radständen zwischen 4.000 und 5.800 Millimeter. Wenn es um Entsorgung und Baustelle geht, bleiben zudem der bisherige eEconic mit Niederflurfahrerhaus und der erst zur Bauma 2025 präsentierte Bau-Lkw eArocs 400 – dazu später mehr – unverändert im Programm.
Was die „bewährten“ L-Fahrerhäuser für Regional- und Verteilerverkehr sowie die Pro Cabin schon jetzt eint, sind zum einen die Actros-typischen Sicherheits- und Assistenzsysteme bis hin zum teilautomatisierten Fahren, zum anderen die Instrumente mit volldigitalen Primär- und Sekundärdisplays sowie Sprachsteuerung, zusammengefasst unter dem Begriff „Multimedia Cockpit Interactive 2“. Gegenüber dem Tippen auf dem Touchscreen dürfte die Sprachsteuerung für deutlich weniger Ablenkung sorgen, wobei die stichprobenartigen Kommandos bei der Fahrvorstellung anstandslos funktionierten: sei es die Einstellung der gewünschten Temperatur, die Zielvorgabe fürs Navi oder ein angefragter Telefonkontakt.
Die ins Interactive-2-Cockpit integrierte Navigation ist außerdem speziell für E-Fahrzeuge ausgelegt und berücksichtigt die aktuelle Ladeinfrastruktur. Auch die diversen von Mercedes-Benz Trucks angebotenen Konnektivitätsdienste lassen sich über das Multimedia-Cockpit nutzen, beispielsweise Over-the-Air Updates oder die „Connected Traffic Warnings“: Das neue Feature stammt von Bosch und warnt auf der Basis von Schwarmdaten aus Pkw und Lkw quasi in Echtzeit vor Gefahren wie Falschfahrer, Unfällen, Nebel, Glatteis oder Starkregen.
Auch die GPS-gestützte Streckenvorausschau (Predictive Powertrain Control, PPC) ist auf den E-Antrieb abgestimmt. Unterm Strich ergab sich bei den jetzt gefahrenen Proberunden im eActros 600 und eActros 400 ein vertrautes Bild, das sich schon im Frühjahr 2024 beim Vorab-Test eines seriennahen eActros 600 abzeichnete (die eigentliche Serienproduktion startete erst Ende November 2024): Hard- und Software sind auf hohem Niveau, insbesondere mit den Fahrprogrammen Range (70 Prozent Motorleistung, maximal 82 km/h), Economy (85 Prozent/85 km/h) und Power (100 Prozent/89 km/h) sowie der Boost-Anzeige bei durchgetretenem Kickdown. Dazu sind die Gangwechsel im Planetensatz beziehungsweise Vierganggetriebe kaum spürbar und die Innengeräusche liegen angenehm niedrig. So richtig deutlich wurde das bei der Präsentation mit einer weiteren Proberunde in einem konventionellen Actros L mit Pro Cabin und 12,8-Liter-Sechszylinder OM 471.
Der Spitzenleistung der beiden E-Motoren von 600 kW entspricht umgekehrt auch die Rekuperations- beziehungsweise Bremsleistung, was für meisten Diesel-Lkw ohne Retarder nicht zu schaffen ist. Sollten die LFP-Batterien tatsächlich randvoll sein, greift bei den eActros ein Hardware-Bremswiderstand (High Power Brake Resistor) mit eigenem Kühlkreislauf: im Wesentlichen eine Art Tauchsieder, der überschüssige Energie in Wärme umwandelt und zirka 250 kW Bremsleistung beisteuert. Ist dagegen ausreichend Batteriepuffer vorhanden, lassen sich je nach Fahrprogramm fünf verschiedene Rekuperationsstufen bis hin zum Ein-Pedal-Modus wählen.
Geladen wird mit bis zu 400 kW über die serienmäßige CCS2-Ladebuchse auf der Fahrer- oder optional auf der Beifahrerseite. Speziell der eActros 600 ist zudem fürs Megawattladen vorbereitet. Finanziell will Daimler Truck den Elektro-Einstieg mit integrierten Finanzierungs- und Versicherungslösungen erleichtern, basierend auf einem Kilometer-Leasing mit garantiertem Restwert. Zusätzlich soll es in Deutschland flexible Mietangebote über Charterway geben.
Apropos flexibel: Dass Mercedes-Benz Trucks zur Präsentation des eActros 400 ins elsässische Werk in Molsheim bei Straßburg eingeladen hatte, obwohl die Serienfertigung in Wörth läuft, hat einen doppelten Hintergrund: Zum einen feiert das Partnernetzwerk Mercedes-Benz Custom Tailored Trucks (CTT), in dem das Spezialfahrzeug-Werk Molsheim eine Schlüsselrolle spielt, 25-jähriges Jubiläum, zum anderen werden hier auch Maßanfertigungen abseits der Serie sichtbar: im batterieelektrischen Segment beispielsweise eActros 600 als 6×2 mit Vor- statt Nachlaufachse oder als 8×2/4 in Tridem-Ausführung.
Ein ebenfalls ausgestellter eArocs 400 als Vierachser mit Fahrmischer stammt dagegen aus der Kooperation mit CTT-Partner Paul Nutzfahrzeuge: Im Gegensatz zu den eActros ausgestattet mit Zentralmotor (380 kW Dauer-/450 kW Spitzenleistung) und 3-Gang-Getriebe. Der Vorteil mit Blick auf die Baustelle: In Kombination lassen sich die Hypoid- und Außenplanetenachsen des Arocs-Standardbaukasten nutzen. Heißt unterm Strich: Zu haben ist bei Mercedes-Benz Trucks batterieelektrisch so gut wie alles – aber alles eben auch eine Preisfrage.
Weitere Informationen:
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Bild: Daimler Truck
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Bild: Ralf Becker
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