Mercedes Actros 1846 Streamspace

Experten-Test Actros 1846: Ein Truck für alle Fälle

von | 1. Juli 2020

Mit dem Actros 1846 Streamspace bringt Mercedes in der 460-PS-Klasse ein relativ geringes Leergewicht mit einem voll fernverkehrstauglichen Fahrerhaus unter einen Hut. Das Ergebnis ist ein echter Allrounder.
Foto: Daimler Truck

Mit 456 PS aus dem kleinen OM 470 und geräumiger Streamspace präsentiert sich der Actros als verhältnismäßig leichte Allzweckwaffe.

Vier Hubraumklassen, 17 Leistungsstufen und dazu kurze, lange, schmale oder breite Fahrerhäuser mit oder ohne Motortunnel: Bei den Konfigurationsmöglichkeiten des Mercedes Actros bleiben wahrlich keine Wünsche offen. Wer es im Regional- und Fernverkehr leicht und dennoch einigermaßen kräftig haben will, greift zum 10,7 Liter großen OM470 mit immerhin bis zu 456 PS und 2.200 Nm Drehmoment. Mit einem Trockengewicht von rund 950 Kilogramm ist das Aggregat zirka 130 Kilogramm leichter als die 12,8-Liter-Maschine OM471, vom über 1,2 Tonnen schweren 15,6-Liter- Motor OM473 ganz zu schweigen. Obendrauf die aerodynamische Streamspace mit 2,5 Meter Breite und ebenem Boden, und fertig ist ein langstreckentauglicher Flotten-Lkw, der sich in Sachen Fahrleistung, Komfort und Lebensraum nicht zu verstecken braucht – so zumindest die Theorie.

Zum Beweis tritt mit einem Actros 1846 exakt ein solches Exemplar zum Test an. Schon der erste Blick in die Unterlagen offenbart erfreuliches: Die Achse ist mit 2,611 : 1 für heutige Verhältnisse relativ kurz gewählt (1.200 Umdrehungen bei 85 km/h) und zur mittelprächtigen Motorbremse mit maximal 462 Brems-PS ist ein Voith-Wasserretarder mit an Bord. Weder beim Verbrauch noch beim Gewicht soll der Testwagen also den allerletzten Tropfen aus dem Stein pressen, sondern vielmehr auch ein gediegenes Maß an Fahrleistungen und -komfort bieten. Entsprechend gibt es weder von der Waage noch von der Zapfsäule sensationelles zu vermelden, aber das Gesamtbild stimmt: Mit 390 Liter Diesel und 60 Liter AdBlue wiegt der 1846 nur 7,1 Tonnen und der Durchschnittsverbrauch liegt mit 33,3 Liter Diesel und 1,5 Liter AdBlue ebenfalls günstig. Erst recht mit Blick auf die Geschwindigkeit: Mit durchschnittlich 82,6 km/h reiht sich der 460er in seiner Klasse ganz vorne ein.

Foto: Daimler Truck

Neu und alt: Mirrorcams und digitales Cockpit, gepaart mit bewährtem Grundbaumuster.

Die Grundlage bildet zum einen die erwähnte kurze Achse, zum anderen eine auf Tempo ausgelegte Schaltstrategie, die am Berg zügig nachlegt und keine hohen Drehzahlen scheut. Im gefahrenen Automatikmodus mit moderatem Unterschwinger von zirka drei bis vier km/h addiert sich ein Angasen vor Steigungen, was für zusätzlichen Schwung sorgt. Im alternativ wählbaren Economy-Modus fällt dieser kleine Turbo allerdings flach, in der nochmaligen Steigerung Economy+ sowieso: Dann ist neben dem Angasen auch der Kickdown deaktiviert und außerdem die setzbare Tempomatgeschwindigkeit auf 82 km/h begrenzt. Aber, und das ist das Gute daran: Zwischen diesen drei Fahrprogrammen kann mal als Fahrer jederzeit per Tippschalter auf dem Motorbremshebel hin und her switchen. In jedem Fall wäre aber wieder eine Klartext-Anzeige für die aktuell gewählte Tempomatgeschwindigkeit wünschenswert: Das kleine rote Dreieck, das den Wert im Tacho markiert, ist im neuen Actros unnötig schwer zu erkennen.

Während mit dem rund einen Zentner schweren Wasserretarder und den komfortablen Zweiblatt- Federn an der Vorderachse das Leergewicht nicht ganz oben auf der Agenda steht, sieht das im Innern der Kabine schon ganz anders aus. Zwar darf der Fahrer auf einem klimatisierten Sitz platznehmen (Serie ist das Luxusmöbel freilich nicht), rechts ist aber nur ein schlichter Funktionssitz eingebaut. Dass ohnehin kein zweiter Passagier dauerhaft eingeplant ist, wird beim Blick an die Rückwand klar: Statt einer zweiten Liege baumelt hier ein großes Gepäcknetz von der Decke, inklusive zweier praktischer Handtuchhalter. Am Klappmechanismus der unteren Liege fehlen zwar nach wie vor Gasfedern, aber immerhin ist die Verriegelung an der Rückwand nun einfacher: Statt mit störrischen Gummizügen funktioniert die Aufhängung mit leichter händelbaren Zurrgurten.

PPC Interurban für Überlandfahrten

Das Bett selbst ist mit einer Sieben-Zonen-Kaltschaummatratze mit hochstellbarem Rückenteil im großzügigen Format von 750 mal 2150 Millimeter ausgestattet. Unter der Liege sind beide Außenstaufächer von innen erreichbar und neben dem Rollcontainer mit 40-Liter-Kühlschrank gibt es noch eine weitere Schublade für allerhand Vorräte. Recht knapp ist dagegen der stirnseitige Stauraum unter dem spoilerartig geformten Streamspace-Dach bemessen. Apropos: Eine Sonnenblende ist zum aerodynamischen Hochdach nicht vorgesehen. Dass der Testwagen ohne Standklimaanlage vorfährt, ist dagegen nur der Gewichtsbilanz geschuldet. Generell ist die vollintegrierte Anlage mit elektrischem Kompressor auch in den Actros-Varianten mit OM470-Motor lieferbar.

Gut zwei Jahre nach der Vorstellung dürfte das digitale Cockpit unter Actros-Fahrern schon weit verbreitet sein, wenngleich Mercedes auch noch die traditionelle Version mit analogen Uhren und Spiegeln anbietet. Dass die Entwicklung nicht stehen bleibt, zeigt sich unter anderem an der automatischen Spurrückführung, die beim Testwagen vom Gefühl her nicht mehr ganz so heftig am Lenkrad zerrt wie bei zuvor gefahrenen Modellen. Überhaupt ist das Handling mit der elektrisch unterstützen Servotwin-Lenkung einwandfrei, wobei sich auf kurviger Landstraße ein weiterer Vorteil der GPS-gestützten Systeme offenbart: Mit aktiviertem „PPC Interurban“ reduziert die Elektronik zum Beispiel an einer steilen Serpentinenabfahrt die Geschwindigkeit automatisch auf zirka 50 km/h und nimmt auch vor Ortsanfängen rechtzeitig Gas weg. Die Voraussetzung bilden hinterlegte Streckenverläufe und fest installierte Tempolimits, vorübergehende Beschränkungen wie etwa an Wanderbaustellen werden nur zur Info im Instrumentendisplay angezeigt und bleiben ansonsten folgenlos.

Foto: Daimler Truck

Im Primärdisplay hat der Fahrer die Wahl aus verschiedenen Ansichten (hier „Advanced“ mit einem einzigen zentralen Rundinstrument).

Grundsätzlich können im Instrumentendisplay verschiedene Ansichten gewählt werden, wobei im Selbstversuch die Classic-Variante mit zwei digital dargestellten Rundinstrumenten am angenehmsten erscheint. Die Ansichten während der Fahrt umschalten geht übrigens nicht, das Laden der Profile dauert einen Moment und funktioniert nur im Stand. Dagegen ist im Touchscreen rechterhand ständig ein immenser Funktionsumfang geboten, von der Radio- und Klimasteuerung bis zum Wartungsplan. Relativ selbsterklärend ist dagegen die kabellose Ladeschale auf der Armatur: Wer ein entsprechendes Handy besitzt, klemmt das einfach da rein.

Die Leistung muss zum Einsatz passen

Nach inzwischen drei getesteten Actros in Euro 6D-Version in drei Hubraum- und Leistungsklassen – 1846, 1851 und 1863 mit 10,7-, 12,8- und 15,6-Liter-Motor – lohnt sich in Sachen Fahrleistungen der ein oder andere Blick ins Detail. Beispielsweise der zehn Kilometer lange Fünfprozenter vom Dreieck Moseltal in den Hochwald: Hier stehen mit identischem Auflieger für den 1846 durchschnittlich 67,2 km/h zu Buche, für den 1851 71,9 und für den 1863 77,8 km/h. Dabei liegen der 1846 und der 1851 im steilsten Stück mit 59 beziehungsweise 61 km/h nahezu gleich auf – mit dem entscheidenden Unterschied, dass der schwächere Motor dafür bei rund 1.700 Umdrehungen den 9. Gang bemühen muss, dem länger übersetzten 510-PS-Actros reichen dagegen 1.330 Touren im 10. Entsprechend nimmt das stärkere Auto die lange Steigung nicht nur leicht schneller, sondern auch mit etwas weniger Diesel unter die Räder. Was einmal mehr die Binsenweisheit untermauert: Wer ständig mit hohen Ladungsgewichten auf schweren Strecken fährt, sollte bei der Anschaffung nicht an der Leistung sparen. Für häufig wechselnde Einsätze dagegen, beispielsweise im Stückgutverkehr mal mehr oder weniger voll auf unterschiedlichen Routen, ist der 1846 als leichter Allrounder aber allemal eine gute Wahl

Foto: Daimler Truck

Ein sehr praktisches Detail des Abstandsreglers ist die Anzeige der vom Vordermann gefahrenen Geschwindigkeit.

Messwerte und Daten
Dieselverbrauch l/100 km
Gesamte Strecke: 33,3
Schwere Teilstücke: 37,9
Leichte Teilstücke: 28,7
Volllast (5 % Steigung): 95,1
Teillast (bei 85 km/h): k.A. (Baustelle)
Geschwindigkeit km/h
Gesamte Strecke: 82,6
Schwere Teilstücke: 81,3
Leichte Teilstücke: 84,0
Volllast (5 % Steigung): 67,2
AdBlue (l/100 km): 1,56 (4,67 % vom Diesel)
steigungsbedingte Schaltungen: 23
Innengeräusch Ebene (85 km/h): 65,2 dB(A)
Innengeräusch max. (Steigung): 66,8 dB(A)
Fahrgestell/Gewicht
Bereifung vorn/hinten: 315/70 R 22,5
Reserverad j/n: n
Tankgröße Diesel: 390 Liter
Tankgroße AdBlue: 60 Liter
Federung: Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft
Rahmenstärke: k.A.
Radstand: 3.700 mm
Retarder j/n: j
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: 7.175 kg
Testgewicht: 39.050 kg
Motor
Reihensechszylinder (OM 470 LA), Turbolader mit asymmetrischem Turbinengehäuse und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung
Abgasnorm: Euro 6d
SCR j/n: j
AGR j/n: j
Bohrung: 125 mm
Hub: 145 mm
Hubraum: 10.677 ccm
Leistung: 335 kW (455 PS) bei 1.600/min
Max. Drehmoment: 2.200 Nm bei 1.100/min
Motorbremse: 340 kW bei 2.300/min
Getriebe/Achse
Mercedes G211-12; automatisiertes Zwölfgang-Getriebe, Direktgangausführung
Übersetzung HA: 2,611
U/min bei 85 km/h (größter Gang): 1.200
Fahrerhaus
Actros Stream Space (2,5 m) Vier-Punkt-Luftfederung
Außenbreite/-länge: 2.482/2.300 mm
Einstiegsstufen: 4
Einstiegshöhe: 1.640 mm
Scheibe/Rückwand: 2.115 mm
Innenhöhe vor Sitz: 1.840 mm
Innenhöhe Mitte: 1.900 mm
Höhe Motortunnel: 0
Liege unten (B x L): 750 x 2.150 mm
Liege oben (B x L):  –

NEWSLETTER

SOCIALS

BELIEBTE NEWS

BELIEBTE TESTS