Experten-Test Iveco S-Way 480: Voll auf der Höhe
Zur Premiere des S-Way im Sommer 2019 gab es von Iveco eine klare Ansage: „Der Fahrer steht im Zentrum der Umgestaltung.“ Mit Blick auf das Testfahrzeug, angetrieben vom 480 PS starken 11,1-Liter-Motor Cursor 11, scheint sich das zu bestätigen. Denn gegenüber dem Vorgänger Stralis gibt es zwar auch Feinarbeiten an Fahrgestell und Aerodynamik zu verzeichnen (Iveco spricht von zwölf Prozent weniger Luftwiderstand), der Löwenanteil der Neuerungen betrifft aber die Kabine.
Folgerichtig hat das neue, strömungsgünstigere Outfit neben verringerten Spaltmaßen, V-förmigem Kühlergrill und markanteren Scheinwerfern auch einige handfeste Vorteile zu bieten: Die Außenstaufächer haben an Volumen und Öffnungsgröße zugelegt, die Holme in den Seitenscheiben sind verschwunden und in der Front dient wie bei Scania eine Klappstufe als sicherer Stand oder Freisitz. Für die Sichtverhältnisse nach schräg vorn dürften es noch abgespeckte Spiegelgehäuse wie etwa am FH sein, aber mehr Verbesserungsvorschläge drängen sich spontan nicht auf. Am Testwagen lässt sich zwar nur das rechte Sideflap an die Rückwand klappen, aber optional ist es auch links möglich. Gut ist außerdem die trittsichere, am Fahrgestell befestigte Metallleiter für den hinteren Aufstieg. Vorn an der Scheibe prangt auch eine äußere Sonnenblende, wie von Iveco (und den meisten Fahrern) generell befürwortet.
Innen überzeugt der S-Way mit einer guten Raumaufteilung auf dem nur noch halb so hohen Motortunnel sowie großen Staufächern über der Scheibe und unter der Liege. Dabei gibt es zum 50-Liter-Kühlschrank unterm Bett entweder eine zusätzliche isolierte Box oder gleich einen zweiten Kühlschrank dazu. Auch das unten abgeflachte Lenkrad mit neu sortierten Tasten und einfacher Tempomatbedienung liegt gut in der Hand, einzig der Verstellwinkel dürfte noch zulegen. Wie schon in der letzten Stralis-Generation schließen die Vorhänge rundum (früher nur bis zu den A-Säulen), dafür gibt es an der Scheibe statt eines elektrischen Rollos nur noch Klappsonnenblenden. Ein Motor-Start-/Stopp-Knopf, dimmbare Innenleuchten mit praktischem Drehschalter und ein Touchscreen haben in den Iveco bereits Einzug gehalten, eine elektrische Parkbremse steht noch aus. Ein Wermutstropfen: Der Lattenrost unter der knapp 80 Zentimeter breiten Matratze blieb beim Modellwechsel auf der Strecke.
Zum Triebstrang mit Traxon-Getriebe und 2,47er Achse verordnete Iveco den Standard-Fahrmodus, der anderswo locker als Power-Funktion durchgehen würde: Mit Anschlussdrehzahlen um 1.400 Touren fackelt der Getrieberechner beim Runterschalten in Steigungen nicht lang und dreht die Gänge zudem bis rund 1.800 Touren weit aus. Selbst mit dem kleinen Cursor 11 hält sich der S-Way damit beim Durchschnittstempo wacker, 83,5 km/h sind auch im Vergleich zu 13-Liter-Motoren in der 480-PS-Klasse ein guter Wert. Der Verbrauch hält sich trotz der forschen Gangart im Rahmen: Durchschnittlich 34,2 Liter sind noch völlig okay. Der AdBlue-Verbrauch liegt mit 7,2 Prozent vom Diesel aber relativ hoch, was sich aus der (fast) lupenreinen SCR-only-Technik mit einer geringen Abgasrückführungsrate von maximal acht Prozent bei Teillast begründet (von Iveco „Smart EGR“ getauft und dem 480-PS-Cursor 11 sowie 570-PS-Cursor 13 vorbehalten).
Der optionale Economy-Modus wird wie beim Vorgänger Stralis über ein kleines Schloss im Beifahrer- Fußraum aktiviert („Eco-Switch“), ist also für den Fahrer nicht jederzeit umschaltbar. Im Wesentlichen bedeutet Eco-Switch „ON“: generelles Abregeln auf 85 km/h, deaktivierter Kickdown und Drehmomentreduzierung bei Teilbeladung. Ist zusätzlich die Option „Ecofleet“ installiert, sind auch manuelle Eingriffe ins Schaltgeschehen auf ein Minimum reduziert: Als Fahrer kann man dann nur noch den Anfahrgang wählen und bis 30 km/h komplett selbst schalten, bei höheren Geschwindigkeiten ist der Wechsel in den manuellen Modus lediglich für maximal 60 Sekunden möglich. Im Umkehrschluss ist bei der im Test gefahrenen Einstellung, also Eco-Switch „OFF“, das Limit auf 90 km/h gesetzt, ein Kickdown vorhanden und jederzeit das volle Drehmoment und somit Beschleunigungsvermögen abrufbar.
Zur Tempomatgeschwindigkeit lassen sich Unterschwinger bis minus fünf und Überschwinger bis plus zehn km/h einstellen, zusätzliche Schwungspitzen à la Mercedes „Dip“ lehnt Iveco aber ab. Sind also wie im Test 85 und +5 km/h eingestellt, lassen Motorbremse und Retarder die Fuhre ganz konsequent nicht über 90 km/h rollen. Keine unsympathische Einstellung, bewegen sich doch die inzwischen weit verbreiteten Systeme mit bis zu 45 Sekunden „Überschwung“ zumindest in einer rechtlichen Grauzone. Aber: Gut möglich, dass Iveco mit dem ersten S-Way-Facelift nachzieht – vermutlich schon 2021. Ebenso zu erwarten sind dann ein digitales Cockpit, wie es derzeit in der Elektro-Kooperation mit Nikola entsteht, längere Achsübersetzungen (bei 2,47 ist momentan Schluss, die Alternativen lauten 2,64 bis 3,70) und eine elektrisch unterstützte Lenkung. Gegenwärtig markiert noch eine konventionelle ZF-Hydrolenkung den Stand der Dinge, mit der es beim Fahrverhalten auch keinen echten Anlass zur Kritik gibt. Neueste Sicherheitsfeatures wie eine aktive Spurrückführung sind damit aber noch Zukunftsmusik. Ansonsten sind im S-Way die üblichen Helferlein geboten, inklusive Abbiegeassistent von Zulieferer Axion.
Ein wenig rätselhaft ist die Deaktivierung des Tempomats nach einer etwas längeren Beschleunigungsphase, typischerweise beim Überholen. Denkt man da nicht dran und nimmt nach dem Einscheren einfach wieder den Fuß vom Gas, sackt die Geschwindigkeit jäh ab und der Hintermann versteht die Welt nicht mehr. Umso ausgereifter präsentiert sich der S-Way bei der Federung: Wie in der Vergangenheit schon mehrfach beim Stralis gelobt, ist man im Iveco selbst mit den leichten Einblattfedern an der Vorderachse komfortabel unterwegs. Wenig Handlungsbedarf gibt es auch bei den gut dosierbaren Dauerbremsen: Geboten sind sechs Stufen, verteilt auf jeweils 100 Prozent Motorbremse plus Retarderleistung in 20-Prozent-Schritten. Das Chassis entspricht weitgehend dem Stralis, abgesehen von Details wie einem neuen Auspufftopf und neuen Luftfederbälgen an der Kabinenlagerung. Der Dachspoiler wird jetzt ohne Schrauben justiert, stattdessen zieht man beidseitig Splinte raus – klettern muss man aber weiterhin.
Nicht neu, aber bewährt: Hinter der Frontklappe sind alle Servicepunkte gut zu erreichen. Auch eine integrierte Standklimaanlage mit elektrischem Kompressor ist lieferbar, und die Kippelektrik mit Fernbedienung ist Serie. Standard sind zudem Spritspar-Zutaten wie der auskuppelbare Luftpresser und die bedarfsgerecht gesteuerte Lichtmaschine. Beleuchtungstechnisch sind weiter H7-Scheinwerfer mit LED-Tagfahrlicht Serie, optional gibt es aber auch Voll-LED-Licht. Auch in diesem Punkt ist das neue Iveco Flaggschiff also voll auf der Höhe der Zeit.
Messwerte und Daten | |
Dieselverbrauch | l/100 km |
Gesamte Strecke: | 34,2 |
Schwere Teilstücke: | 38,8 |
Leichte Teilstücke: | 29,6 |
Volllast (5 % Steigung): | 96,5 |
Teillast (bei 85 km/h): | k.A. (Baustellen) |
Geschwindigkeit | km/h |
Gesamte Strecke: | 83,5 |
Schwere Teilstücke: | 82,3 |
Leichte Teilstücke: | 84,8 |
Volllast (5 % Steigung): | 69,5 |
AdBlue (l/100 km): | 2,47 (7,21 % vom Diesel) |
steigungsbedingte Schaltungen: | 31 |
Innengeräusch Ebene (85 km/h): | 65,0 dB(A) |
Innengeräusch max. (Steigung): | 68,5 dB(A) |
Fahrgestell/Gewicht | |
Bereifung vorn/hinten: | 385/55 R 22,5 / 315/70 R 22,5 |
Reserverad j/n: | n |
Tankgröße Diesel: | 400 Liter |
Tankgroße AdBlue: | 135 Liter |
Federung: | Ein-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft |
Rahmenstärke: | 6,7 mm |
Radstand: | 3.800 mm |
Retarder j/n: | j |
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: | 7.685 kg |
Testgewicht: | 39.560 kg |
Motor | |
Reihensechszylinder (Cursor 11) mit Turbolader (mit variabler, elektronisch gesteuerter Geometrie) und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung | |
Abgasnorm: | Euro 6d |
SCR j/n: | j |
AGR j/n: | j |
Bohrung: | 128 mm |
Hub: | 144 mm |
Hubraum: | 11.118 ccm |
Leistung: | 353 kW (480 PS) bei 1.465 bis 1.900/min |
Max. Drehmoment: | 2.300 Nm bei 970 bis 1.465/min |
Motorbremse: | 372 kW bei 2.400/min |
Getriebe/Achse | |
ZF 12 TX 2210 TD; automatisiertes Zwölfgang-Getriebe, Direktgangausführung | |
Übersetzung HA: | 2,47 |
U/min bei 85 km/h (größter Gang): | 1.134 |
Fahrerhaus | |
S-Way Active Space, Vier-Punkt-Luftfederung | |
Außenbreite/-länge: | 2.490/2.280 mm |
Einstiegsstufen: | 3 |
Einstiegshöhe: | 1.470 mm |
Scheibe/Rückwand: | 2.070 mm |
Innenhöhe vor Sitz: | 2.150 mm |
Innenhöhe Mitte: | 2.085 mm |
Höhe Motortunnel: | 95 mm |
Liege unten (B x L): | 670-780 x 2.020 mm |
Liege oben (B x L): | 540-790 x 1.940 mm |