Experten-Test Scania BEV: Eine ganz neue Erfahrung
And the winner is … Scania. Kaum ein Jahr, nachdem wir uns eine Verteilerrunde für E-Lkw zurechtgelegt haben, nimmt ein Scania BEV die Strecke als Erster unter die Räder. Während es bei anderen Herstellern bis dato nur Absagen hagelte, machte man in Södertälje Nägel mit Köpfen. Die Infrastruktur ist längst nicht soweit? Dann muss das Fahrzeug eben auf den Tieflader, um regional zu Proberunden aufzubrechen. Und falls vor Ort immer noch völlige Lade-Ödnis herrschen sollte, ist zur Selbstversorgung auf dem Schwanenhals ein dieselbetriebenes Stromaggregat mit 40 kW Ladeleistung installiert. Klar, die Methode hört sich erstmal unfreiwillig komisch an. Aber solange der Gesetzgeber fernab der Realität die E-Mobilität fordert, ohne gleichzeitig eine vernünftige Infrastruktur auf die Beine zu stellen, muss man sich eben zu helfen zu wissen.
Zum Test tritt also ein vollluftgefederter Scania P25 BEV an, mit der derzeit maximal erhältlichen Gesamtkapazität von 300 kWh aus insgesamt neun Batteriepaketen: Je vier links und rechts am Rahmen und eines unterm Fahrerhaus. Jenes Fahrerhaus stammt aus der Baureihe CP17, was für eine mittellange, niedrige Kabine steht. Aufgebaut ist ein höhenverstellbarer Trockenfrachtkoffer vom finnischen Hersteller Fokor, und einige Tonnen Ballast sind ebenfalls an Bord. Mit Fahrer und Beifahrer bringt das zweiachsige Verteilerfahrzeug damit ein Testgewicht von ziemlich genau 16,5 Tonnen auf die Waage.
Grundsätzlich sind mit dem E-Antrieb alle Fahrerhäuser der P-Reihe zu bekommen, also bis hin zur langen Kabine mit Bett und Hochdach. Gegenwärtig liegt der Fokus aber auf dem Verteilerverkehr, und eine effektive Standheizung für Übernachtungen befindet sich beim BEV noch in der Entwicklung. Speziell für Entsorgungseinsätze stehen außerdem die L-Kabinen zur Wahl, die als Niederflur-Fahrerhäuser in der Liga des Mercedes Econic antreten.
Die Typenbezeichnung „25 P“ am Bug des Testwagens bezieht sich auf das Fahrerhaus und die ungefähre Leistungsklasse, hier für die 230 kW Dauerleistung des E-Motors. Der weitere Antriebsstrang besteht aus einem von Scania selbst entwickelten Zweiganggetriebe und einer Standard-Hinterachse aus dem üblichen Baukasten der Schweden. Beim Tritt aufs Gaspedal setzt sich der BEV damit nahezu geräuschlos und mit gefühlt gleichmäßiger Beschleunigung in Gang. Die erste leichte Unstetigkeit gibt´s bei knapp 40 km/h, wenn das automatisierte Getriebe vom ersten in den zweiten Gang schaltet. Ungewohnt, aber allemal willkommen, ist der schnelle Antritt des E-Fahrzeugs: Gegenüber einem vergleichbaren Diesel ist das Beschleunigungsvermögen enorm.
Die grundlegende Erkenntnis, dass der Verbrauch stark von der Topografie abhängt, teilt sich das E-Fahrzeug mit den Dieselkollegen. Wenn aber beim Verbrenner die große Herausforderung darin besteht, Steigungen so effizient wie möglich zu nehmen, rückt beim E-Fahrzeug sehr viel mehr die Energierückgewinnung bei Talfahrt in den Fokus. Beim tieferen Blick in das Messprotokoll zeigen sich in einigen ausgewählten Steigungen und Gefällen enorme Unterschiede. Beispielhaft zwei kurze Abschnitte mit einem durchschnittlichen Gefälle von jeweils rund 3,5 Prozent: im ersten Fall aufgrund einer Ortsdurchfahrt mit einer mittleren Geschwindigkeit von 42 km/h befahren, im zweiten Fall mit durchgängig 65 km/h. Das erstaunliche Resultat: Bei Langsamfahrt errechnet sich ein Energiegewinn von fast 5 kWh/km, bei zügiger Fahrt sind es nur rund 3,3 kWh/km. Nun könnte die Konsequenz lauten, Gefälle möglichst langsam zu nehmen, aber so einfach ist es auch wieder nicht – in der Gesamtbetrachtung sollen Energieeinsatz und Geschwindigkeit schließlich in einem vernünftigen Verhältnis stehen.
Eine Schlussfolgerung ist mit Blick auf die Messwerte unstrittig: Mehr noch als beim Diesel-Lkw kommt der Tourenplanung mit alternativen Streckenprofilen eine entscheidende Bedeutung zu. Einen wahren Schatz gibt es für die Entwickler auch mit einer speziell angepassten Infrastrukturerkennung für E-Fahrzeuge zu heben (in der Art des Mercedes-Landstraßen-PPC beim Diesel): Mit einem perfektionierten Brems- beziehungsweise Generatoreinsatz in jedem Gefälle, vor Kurven, Kreisverkehren oder Ortschaften, dürfte sich die Rekuperationsrate deutlich steigern lassen. Für den menschlichen Fahrer ist es dagegen schwer zu entscheiden, welche Strategie im Einzelfall die optimale ist, zumal mit wechselnden Ladungsgewichten. Noch muss Scania an dieser Stelle passen: Zwar sind neueste Assistenzsysteme wie Seitenradar und elektrisch unterstützte Lenkung mit Spurrückführung vorhanden, für die Geschwindigkeitsregelung ist im BEV aber nur ein herkömmlicher Tempomat ohne GPS-Anbindung an Bord.
Einstweilen lautet somit die Faustformel: weit vorausschauend fahren und so lange wie möglich ohne Beibremsung rollen, ansonsten sachte und fein abgestuft die Bremsleistung des E-Motors nutzen. Letzteres lässt sich vorzugsweise mit dem fünfstufigen Lenksäulenhebel regeln, alternativ mit dem Pedal: Bei leichtem Druck tritt der E-Motor als Nutzbremse in Aktion, bei stärkerem Tritt kommen die Scheibenbremsen dazu. Beim reinen Lupfen des Gaspedals tritt dagegen keine Bremswirkung beziehungsweise Rekuperation ein, was nicht nur die meisten Fahrer begrüßen dürften, sondern auch nochmal den Grundgedanken unterstreicht: Im Zweifelsfall ist es physikalisch wohl am günstigsten, erstmal neutral den Schwung zu nutzen.
Zur Einschätzung des Geschehens informiert anstelle des sonst üblichen Drehzahlmessers ein in blau und grün gehaltenes Rundinstrument über den Stromverbrauch beziehungsweise -gewinn. Zuckt die Nadel in Richtung blau, werden die Batterien mittels Rekuperation geladen, im grünen Bereich dagegen je nach Leistungsanforderung angezapft. Zusätzlich leuchten im zentralen Infodisplay noch die Batterieladung in Prozent und die Restreichweite in Kilometer auf, damit haben sich die sichtbaren Unterschiede zum Diesel-Scania im Wesentlichen.
Gegen die komplette, für übrige Verkehrsteilnehmer möglicherweise gefährliche Schleichfahrt ist ein Soundmodul installiert, wie es mittlerweile auch der Gesetzgeber für Elektrofahrzeuge fordert. Zu hören gibt es zwei verschiedene Tonlagen bei langsamer (bis circa 25 km/h) und schnellerer Fahrt. Ab rund 45 km/h bleibt das Modul stumm. Komplett still bleibt es aber auch in Parkposition erstmal nicht: Nach der Fahrt wird mit den insgesamt vier Wasserpumpen unterm Fahrgestell noch ein paar Minuten lang die Temperatur der Batterien angepasst. Externe Anschlüsse für längere Standzeiten oder Werkstattarbeiten gibt es obendrein, denn auch die Batterien haben ihre eigene „Wohlfühltemperatur“: Optimal sind rund 20 bis 25 Grad. Fast schon menschlich, irgendwie.
Messwerte | kWh | kWh/km |
Landstraße mit 10 Ortsdurchfahrten, flach (50,2 km) | 44,3 | 0,88 |
Überland, hügelig, tendenziell bergauf (32,4 km) | 39,2 | 1,21 |
Überland, hügelig, tendenziell bergab (20,1 km) | -18,9 | -0,94 |
Autobahn, hügelig, tendenziell bergauf (19,3 km) | 41,7 | 2,16 |
Autobahn, hügelig, tendenziell bergab (8,6 km) | 3,3 | 0,38 |
gesamt (130,6 km) | 109,6 | 0,84 |
Elektromotor | |
Bauart | Permanent-Magnet-Motor mit Spritzölkühlung |
Leistung Dauer-/Spitzenbetrieb | 230/295 kW |
Drehmoment Dauer-/Spitzenbetrieb | 1.300/2.200 Nm |
Nebenantrieb | 60 kW |
Batterien | |
Art/Anzahl | Lithium-Ionen/9 |
Kapazität, gesamt | 300 kWh |
Reichweite (Herstellerangabe) | bis 260 km |
Ladeverfahren | CSS-Steckverbindung/Typ-2 bis zu 130 kW / 200 A Gleichstrom |
Triebstrang | |
Kraftübertragung und Bereifung | automatisiertes 2-Gang-Getriebe Scania GE21S21, Übersetzung 2,59/1,0 (1./2. Gang); einfach übersetzte Antriebsachse Scania R660, Übersetzung 4,88 : 1; Bereifung 315/70 R 22,5 (Conti Light Pro) |
Fahrgestell und Aufbau | |
Rahmen, Federung, Lenkung | U-Profil-Leiterrahmen Scania F950 (9,5 mm stark), Vollluftfederung, elektrische unterstützte Lenkung mit variabler Übersetzung (17 bis 20 :1) |
Radstand | 5.300 mm |
Achslasten | 8.000/11.500 kg |
Testgewicht (ohne Fahrer) | 16.360 kg |
Aufbau | höhenverstellbarer Trockenfrachtkoffer (um 70 cm von ca. 2,80 bis 3,50 m Gesamthöhe) von Hersteller Fokor/Finnland; Heckabschluss: stehende Ladebordwand Zepro, Leiterklappe |
Fahrerhaus | |
Modell | mittellanges, niedriges Tagesfahrerhaus Scania CP17, luftgefedert; ohne Liege |
Innenhöhe Mitte | 1.120 mm |
Innenhöhe rechts | 1.490 mm |
Frontscheibe bis Rückwand | 1.820 mm |
Motortunnel (B x H) | 860 x 410 mm |
Einstiegshöhe 1./2. Stufe | 430/830 mm |
Kabinenbodenhöhe | 1.210 mm |
wesentliche Stauräume | offene Kartenfächer über der Scheibe, zwei auch von innen zugängliche Außenstaufächer (je rund 115 Liter), Schublade an der Rückwand (ca. 40 Liter) |
Varianten | |
Konfigurationen (Fahrgestelle) | 4×2, 6×2, 6×2*4 (bis 29 t GG) |
Radstände | 3.950 bis 5.750 mm |
Fahrerhäuser | P (kurz, mittellang und lang mit drei Dachhöhen, Crew Cab), L (Low Entry) |
Batteriepakete | 5 Lithium-Ionen-Batterien (165 kWh, bis 130 km Reichweite) ab 3.950 mm Radstand; 9 Lithium-Ionen-Batterien ab 4.350 mm Radstand |


