Leseprobe
E-Lkw-Präsentation Designwerk 2023: Schweizer Elektro-Power
Batterieelektrik (BEV), Brennstoffzelle (FCEV), Wasserstoff-Verbrenner oder doch E-Fuels im guten, alten Diesel? Wenn es um die Frage der Lkw-Antriebstechnik von morgen geht, sind nach Ansicht des Schweizer E-Lkw-Herstellers Designwerk die Würfel längst gefallen: Die Batterie macht das Rennen, und zwar auf breiter Front. Sprich, im Nah- und Fernverkehr gleichermaßen. Wenn auch einstweilen noch der Diesel dominiert, dürften im Segment der alternativen Antriebe nach Einschätzung von Designwerk innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre rund 90 Prozent aller Neuzulassungen auf BEV entfallen.
In einem selbst aufgelegten Whitepaper, das die Eidgenossen anlässlich einer Fahrvorstellung im Mai verteilten, scheinen die Argumente in der Tat erdrückend: Unter anderem schrumpfe der Reichweiten-Vorteil der Brennstoffzelle gegenüber kontinuierlich verbesserten Batterien immer weiter zusammen, der Gesamtwirkungsgrad (Well-to-Wheel) sei um ein Vielfaches höher (76,9 zu 17,8 Prozent) und auch die Tank- beziehungsweise Nachladedauer gleiche sich dank Megawatt-Laden immer mehr an. Bei weiteren Aspekten wie den realen CO2-Emissionen, Gesamtbetriebskosten, Nachhaltigkeit (nahezu vollständiges Batterierecycling) und der Produktionsskala (Serienanlauf versus Prototypen) sieht Designwerk die BEV- gegenüber den FCEV-Konzepten ebenfalls klar in Führung.
Dass die Verfechter anderer Konzepte ihrerseits stichhaltige Punkte anzuführen wissen – etwa der massive Ausbau der globalen Wasserstoffproduktion, die Verteilung über bestehende, grundsätzlich auch Wasserstoff-taugliche Pipelines oder der im Vergleich zu Stromtrassen erheblich leichtere Transport weltweit produzierter E-Fuels – sei jetzt mal dahingestellt. Fakt ist jedenfalls, dass die Schweizer Taten folgen lassen und abseits der Lkw-Produktion an ganzheitlichen Lösungen arbeiten. So liefert Designwerk zu den Fahrzeugen nicht nur eigene mobile Ladegeräte, sondern entwickelt auch batteriegepufferte Schnellladestationen im Megawattbereich. An deren Umsetzung beteiligt sich ein Konsortium, zu dem weitere Industriepartner, Universitäten und das Schweizer Bundesamt für Energie zählen.
Mit Schnellade-Zeiten um 45 Minuten sollen die Megawatt-Ladestationen für die Langstrecken-Tauglichkeit von BEV sorgen und gleichzeitig die Stromnetze entlasten. Während die Stationen, schlussendlich gigantische Powerbanks, ins übliche Transportraster passen (2,55 Meter breit, 3,0 Meter hoch und 25 Tonnen schwer), muss sich bei den BEV zusätzlich der neue Ladestandard MCS (Megawatt Charging System) etablieren. „In unseren Ladecontainern verbauen wir Second Life E-Lkw Batterien als Puffer, um Lastspitzen vorzubeugen. Damit entfällt nicht nur ein Netzausbau: Der Speicher soll gar in der Lage sein, erneuerbar produzierten Strom wieder ans Netz abzugeben“, erläutert Vivien Dettwiler, Mitglied der Designwerk-Geschäftsleitung. Dass die Technik wie geplant funktioniert, sollen noch im Jahresverlauf 2023 Demonstrationsanlagen beweisen, unter anderem bei der Galliker Transport AG. Visionär und gesamtgesellschaftlich denkt man bei Designwerk an noch deutlich größere Speicher, womöglich für ganze Städte.
Bei der eigenen Lkw-Modellpalette, die abgesehen vom Niederflur-Konzept des Mercedes Econic auf den Serien Volvo FM und FH aufbaut, betonen die Schweizer, in keiner Konkurrenz zu Volvo selbst zu stehen. Angesichts der Tatsache, dass Volvo mit 60 Prozent mehrheitlich an Designwerk beteiligt ist, wäre das auch nur schwer vorstellbar. Der in Winterthur beheimatete Hersteller sieht sich eher als Nischenanbieter, mit einem besonderen Fokus auf dem Heimatmarkt und Expansionsbestrebungen vorrangig nach Benelux und Skandinavien – also überall dort, wo der Gesetzgeber alternativen beziehungsweise batterieelektrischen Konzepten schon jetzt wohlwollend entgegenkommt, etwa mit einem Meter zusätzlicher Gesamtzuglänge in der Schweiz und Norwegen (in Deutschland braucht es dafür nach wie vor eine Sondergenehmigung).
Dieser eine Meter ist keine Zufallsgröße, sondern handfest mit erhöhten Batteriekapazitäten und Reichweiten verbunden. Designwerk liefert Fahrzeuge mit bis zu 1.000 kWh Batteriekapazität, im Maximalfall freilich nicht mehr im gängigen Standardmaß. Bei einem Zwei- oder Dreiachs-Fahrgestell wächst der Radstand in der 1.000-kWh-Variante auf mindestens 5,60 Meter, und bei Dreiachs-Sattelzugmaschinen muss ein Teil der Batteriepakete ähnlich einem Schwerlastturm an der Fahrerhaus-Rückwand gestapelt werden. Abseits solch gewaltiger Dimensionen sind die Stromspeicher individuell konfigurierbar, basierend auf einem modularen System mit Batteriepaketen von 37 bis 250 kWh. Den Stand der Dinge markieren NMC-Batterien, im Frühjahr 2023 hat Designwerk das Portfolio aber um die LFP-Zelltechnologie erweitert.
Als Eckdaten für die LFP-Systeme, die ohne Nickel, Kobalt und Mangan auskommen, nennen die Schweizer eine Energiedichte von 141 Wh/kg und eine Kapazität von bis zu 170 kWh. Im Fall von NMC sind es entsprechend 181 Wh/kg und bis zu 250 kWh. Die individuelle Entscheidung sehen die Schweizer einsatzabhängig: Sind kompakte Abmessungen, eine hohe Anzahl an Ladezyklen und eine besonders lange Lebensdauer gefragt, sind LFP-Batterien das Mittel der Wahl. Stehen wie im Fernverkehr höchste Energiedichten für große Reichweiten im Vordergrund, empfiehlt Designwerk weiterhin die leichteren NMC-Batterien. Zur Einschätzung der Haltbarkeit präzisiert Thomas Prohaska, Product Manager Battery Systems bei Designwerk: „Bei LFP-Zellen erwarten wir das Lebensende nach mindestens 3.000 Zyklen, bei NMC-Zellen ist es nach zirka 2.000 Zyklen erreicht.“ Beide Hochvoltbatteriesysteme fertigt Designwerk im Schweizer Werk in Winterthur.
Mit den eigenen Batteriepaketen bestücken die Schweizer Zwei- bis Fünfachser vom 4×2 bis zum 10×4, wahlweise ausgestattet mit verschiedenen Nebenantrieben für Auf- und Anbauten unterschiedlichster Art; seien es Betonmischer, Hakengeräte, Kippbrücken, Kühlaggregate, Ladekrane, Löschfahrzeuge oder Müllpressen. In Zusammenarbeit mit Aufbauern realisiert Designwerk zudem diverse Spezialfahrzeuge, etwa vollelektrische Kanalreinigungsfahrzeuge (mit dem liechtensteinischen Spezialisten Kaiser), Autotransporter (mit Kässbohrer) und
Generell unterscheidet sich das Fahrzeugkonzept deutlich von Volvo, wo die schweren BEV auf zwei oder drei Elektromotoren und I-Shift-Getriebe basieren. Designwerk setzt dagegen auf vier Elektromotoren mit zusammen 500 kW, eigene Hochvoltkomponenten und ein stufenloses Getriebe. Gemeinsamer Nenner mit den Schweden ist ein gekoppelter Triebstrang mit Kardanwelle, wobei sich im Gespräch mit Designwerk-Technikern der künftige Einsatz von E-Achsen abzeichnet – also ganz so, wie das Daimler im eActros vorexerziert und Volvo mit der Präsentation einer eigenen E-Achse zur IAA 2022 offenbar ebenfalls plant.
Eine echte Designwerk-Spezialität ist das an Kupplungsposition eingebaute Rekuperationspedal, mit dem sich der Generatoreinsatz beziehungsweise die Nutzbremse stufenlos regeln lässt. Das Pedal ist als Option zum dreistufigem Motorbremshebel im Angebot, wird aber im Nahverkehr und für Entsorgungseinsätze praktisch immer geordert. Die sonstige Bedienung entspricht der üblichen Logik im Volvo-Cockpit, wobei die Schweizer pragmatisch verfahren. So grüßen aus den Instrumenten weiterhin die Symbole für Diesel- und AdBlue-Tank, die zugehörigen Einblendungen spiegeln aber die geschätzte Restreichweite und den Batterie-Ladezustand wider. Apropos dreistufiger Motorbremshebel: In Nullstellung ist beim Lösen des Gaspedals freies Rollen angesagt (Schwung ist im Zweifelsfall wertvoller als Rekuperation), erst in den folgenden drei Stellungen werden bis hinunter auf 1 km/h Bremskraft beziehungsweise Rekuperation abgestuft. Das Bremspedal ist in jedem Fall den Scheibenbremsen vorbehalten.
Ein weiteres charakteristisches Designwerk-Merkmal in der ansonsten vertrauten Volvo-Umgebung ist das selbst entwickelte, in die Dach- oder Mittelkonsole eingebaute Infodisplay. Über Haupt-Menüpunkte zu Batterien, Antrieb, Laden und System lässt sich eine Vielzahl detaillierter Parameter abrufen – bis hin zur Leistungsaufnahme jedes einzelnen Stromverbrauchers und der Temperatur der Batteriezellen. Typisch Schweizer Gründlichkeit eben.
Den Ursprung des 2008 gegründeten Unternehmens Designwerk markiert ein Elektro-Lkw-Gemeinschaftsprojekt mit dem Schweizer Bundesamt für Energie, Volvo Trucks, der Contena Ochsner AG und weiteren Partnern. Im Frühjahr 2021 übernahm die Volvo Group einen 60-Prozent-Anteil. Den ursprünglich genutzten Markennamen „Futuricum“ legte Designwerk im Mai 2022 zu den Akten. Nach Ansicht der Marketingstrategen funktioniert der Begriff im Englischen schlichtweg nicht, weshalb an den Lkw seither nur noch kurz und knapp das „DW“-Logo prangt. Neben schweren BEV in Kleinserie entstehen unter der Marke auch Ladegeräte sowie modulare Hochvolt-Batteriesysteme. Am Firmensitz Winterthur sowie Standorten in Basel und Lottstetten (Deutschland) beschäftigt das Unternehmen rund 150 Mitarbeiter.