Experten-Test Scania 540 S: Mehr als nur Pflicht
Alle Diesel-, Gas- und Ethanol-Varianten zusammengenommen, bietet Scania aktuell zwei Dutzend Euro-6-Motoren mit 6,7 bis 16,4 Liter Hubraum an. Die jüngste Ergänzung heißt DC13 166, mobilisiert 540 PS sowie 2.700 Nm Drehmoment und stellt die neue Spitzenversion des 12,7 Liter großen Reihensechszylinders dar. Quasi hausintern wildert Scania damit im Revier des V8: Kommt doch die Einstiegsmotorisierung des 16,4 Liter Achtzylinders auf „nur“ 520 PS bei ebenfalls 2.700 Nm Drehmoment.
Folgerichtig betonten die Schweden zur Vorstellung des 540ers im Spätsommer 2019: „Der neue DC13 166 ist vorrangig für Anwendungen und Kunden ausgelegt, bei denen der Einsatz der V8-Motoren aufgrund besonderer Gewichtsanforderungen und Einschränkungen bei den Vorderachslasten nicht möglich ist.“ Die Botschaft, ganz klar: Am eigenen V8-Mythos möchte man nicht rütteln. Das Gewicht ist aber tatsächlich ein handfestes Argument: Gut 280 Kilogramm liegen zwischen den 12,7 und 16,4 Liter großen Motoren.
Mit 400 Liter Diesel und 50 Liter AdBlue steht der 540 PS starke Testwagen mit 7.570 Kilogramm auf der Waage, was in dieser Fahrerhaus- und Hubraumklasse immerhin guten Durchschnitt darstellt. Fahrerhausklasse heißt in diesem Fall: Großraumfahrerhaus mit Hochdach, ebenem Kabinenboden und vier Einstiegsstufen oder kurz „Scania S Highline“. Das hohe, konsequent auf die Langstrecke zugeschnittene Haus kam 2016 neu ins Programm. Alternativ gibt es weiterhin die R-Fahrerhäuser mit halbhoher Motorkiste, allerdings ohne das frühere Topline-Hochdach.
Wie die übrigen DC13-Motoren mit 370 bis 500 PS arbeitet auch die 540 PS-Version mit einem Turbolader mit fester Geometrie. Charakteristisch ist zudem die SCR-only-Technik, wobei der Verzicht auf die Abgasrückführung (AGR) und die damit möglichen heißeren Verbrennungstemperaturen letztlich die Basis für die nochmals gesteigerte Leistungsausbeute bilden. Ansonsten folgte die neue Spitzenmotorisierung auf eine erste Überarbeitungswelle, die schon im Frühjahr 2019 allen DC13-Versionen zugutekam. Zu nennen sind vor allem neue Kühlmittel- und Lenkungspumpen mit bedarfsabhängiger Regelung, höhere Verdichtungsverhältnisse, verringerte innere Reibungsverluste sowie Modifikationen an Turbinengehäuse, Ansaug- und Abgaskrümmer. In der Summe beziffert Scania den Verbrauchsvorteil auf bis zu zwei Prozent.
Wie konkret diese Angabe auch sein mag, das Gesamtergebnis im Test überzeugt allemal: Mit durchschnittlich nur 33,6 Liter Diesel kommt der 540 S über die Testrunde, was in dieser Leistungsklasse eine neue Messlatte setzt. Beim AdBlue fordert aber auch die SCR-only-Technik ihren Tribut: Knapp 2,8 Liter oder anteilig 8,3 Prozent vom Diesel sind fast doppelt so viel wie bei Motoren mit gekühlter AGR. Bemerkenswert ist zudem, dass der 540er mit nur acht steigungsbedingten Schaltungen auskommt – derart niedrige Werte gibt´s im Test sonst allenfalls mit V8 oder Volvo D16.
Mit Blick auf das Streckenprofil zahlt es sich dabei aus, dass Scania den starken Motor mit Direktgang-Getriebe und der heutzutage kurz zu nennenden Achsübersetzung 2,59 zu Eins kombiniert. Damit allein verbleiben am Berg schon üppige Drehzahlreserven, die die Getriebesteuerung mit einem Angasen vor Steigungsbeginn noch zu steigern weiß. Zumindest ist das im gefahrenen Standardmodus der Fall, der alternativ zur Economy- und Power-Einstellung zur Wahl steht.
Wie bei Scania üblich, sind alle drei Programme im Fahrzeug installiert und können jederzeit gewechselt werden. Während der Power-Modus beim 540er abseits vom Hochgebirge ohnehin kaum eine Berechtigung hat, ist der Economy-Modus auch nicht wirklich zu empfehlen. Die fixe Beschränkung auf minus zwölf Prozent als Unterschwinger (bei gefahrenen 85 km/h also minus 10 km/h) bedeutet ein ziemlich grenzwertiges Kuppenschleichen, erst recht bei dichtem Verkehr. Zudem ist im Economy-Modus die vor ein paar Jahren eingeführte „Pulse-and-Glide“- Funktion aktiv, die mit ständigem Gasgeben und Rollenlassen regelrecht auf den Magen schlagen kann. Zumindest ging es in der Vergangenheit dem Schreiber dieser Zeilen so, weshalb die Testfahrt überwiegend im Standardmodus mit plus/minus 5 km/h als Über- und Unterschwinger verlief.
Ausgangs von Gefällen lässt die Tempomatsteuerung dabei auch leichte Übergeschwindigkeiten zu, für einige Sekunden beispielsweise 91 oder 92 km/h. Regelrecht einprogrammierbare Zusatz-Schwungspitzen wie im Actros oder FH sieht Scania aber nicht vor. Die gesetzten Werte überdauern auch einen Stopp mit abgestelltem Motor, bei Beibremsungen fliegt der Tempomat aber generell raus – gut so. Sachte und kaum spürbar ist auch der Ecoroll-Freilauf in den Standardmodus eingebunden, allerdings mit und ohne Tempomat auch bei niedrigen Geschwindigkeiten aktiv: Also selbst in der Stadt, was nicht als der Weisheit letzter Schluss durchgeht.
Die Voraussetzung bildet in jedem Fall, dass der GPS-Tempomat mit hinterlegtem Kartenmaterial die Strecke „lesen“ kann; ist das der Fall, leuchtet im zentralen Display ein blaues Empfangssymbol über einem Lkw-Icon auf. Zufall oder nicht, erlischt das Symbol in der Nähe des US-Airbase Spangdahlem an der A60 für einige Zeit, was sich in einer Steigung prompt als fatal erweist: Der „blinde“ Tempomat fällt in die Vor-GPS-Zeiten zurück und wirft erst bei knapp 900 Touren den Rettungsanker in den elften Gang.
Abgesehen von derlei Feinjustierungen erweisen sich die weiteren Antriebs- und Fahrgestellkomponenten einmal mehr als absolut ausgereift. Das Opticruise-Getriebe schaltet in jedem Fall schnell, dabei aber beim Hochschalten (das von einer Vorgelegewellenbremse unterstützt wird) spürbar weicher als beim mitunter doch etwas ruppigen Runterschalten. Lenkung und Federung (Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft) sind topp, gepaart mit dem relativ langen Radstand von 3.750 Millimeter folgt der Scania unbeirrbar seiner Bahn.
Was das sonstige Wohnen und Fahren anbelangt, punktet die S-Kabine mit durchgehend über zwei Meter Stehhöhe, großem Stauvolumen sowie einem gut gemachten Cockpit mit clever abgeflachtem Lenkrad, übersichtlichen Anzeigen und intuitiver Bedienung. Insbesondere die Geschwindigkeitsregelung mit separat einstellbarem Bremstempomat ist derzeit das Maß der Dinge – in Verbindung freilich mit dem hauseigenen, auskuppelbaren Scania-Retarder. Die Motorbremse allein ist mit maximal nur 329 Brems-PS für die wenigsten Einsatzprofile eine Option.
Auf der Habenseite stehen außerdem eine gute Rundumsicht, weite Verstellwege für Sitz und Lenkrad (bis 55 Grad Steilstellung, mehr hat nur Volvo) und eine dimmbare Innenbeleuchtung. Außen gibt es auf Wunsch eine LED-Komplettbeleuchtung, also inklusive Abblend-, Fern- und Tagfahrlicht sowie Blinker. Eine neue Option ist der „Fuel Theft Alarm“: Macht sich jemand am Tank zu schaffen, schlägt das System Alarm und versendet über den Scania Communicator (seit 2011 Serie in allen Scania) mit zusätzlich installiertem „Control Paket“ auch SMS- und E-Mail-Benachrichtigungen. Nach außen hin sichtbar ist das System durch einen knallroten Tankdeckel. Mit hoffentlich abschreckender Wirkung: Wäre ja auch schade, wenn der so gekonnt eingesparte Diesel am Ende doch noch abhandenkäme.
Messwerte und Daten | |
Dieselverbrauch | l/100 km |
Gesamte Strecke: | 33,6 |
Schwere Teilstücke: | 38,2 |
Leichte Teilstücke: | 29,0 |
Volllast (5 % Steigung): | 95,2 |
Teillast (bei 85 km/h): | 22,0 |
Geschwindigkeit | km/h |
Gesamte Strecke: | 84,6 |
Schwere Teilstücke: | 84,0 |
Leichte Teilstücke: | 85,3 |
Volllast (5 % Steigung): | 75,6 |
AdBlue (l/100 km): | 2,79 (8,32 % vom Diesel) |
steigungsbedingte Schaltungen: | 8 |
Innengeräusch Ebene (85 km/h): | 62,0 dB(A) |
Innengeräusch max. (Steigung): | 64,5 dB(A) |
Fahrgestell/Gewicht | |
Bereifung vorn/hinten: | 385/55 R 22,5 / 315/70 R 22,5 |
Reserverad j/n: | n |
Tankgröße Diesel: | 400 Liter |
Tankgroße AdBlue: | 47 Liter |
Federung: | Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft |
Rahmenstärke: | 7,0 mm |
Radstand: | 3.750 mm |
Retarder j/n: | j |
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: | 7.645 kg |
Testgewicht: | 39.525 kg |
Motor | |
Reihensechszylinder (Scania DC13 166), Turbolader mit fester Geometrie und Ladeluftkühlung, Einzelzylinderköpfe, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung | |
Abgasnorm: | Euro 6d |
SCR j/n: | j |
AGR j/n: | n |
Bohrung: | 130 mm |
Hub: | 160 mm |
Hubraum: | 12.742 ccm |
Leistung: | 397 kW (540 PS) bei 1.800/min |
Max. Drehmoment: | 2.700 Nm bei 1.000 bis 1.300/min |
Motorbremse: | 242 kW bei 2.400/min |
Getriebe/Achse | |
Scania GRS 905 R; automatisiertes Getriebe, 12+2 Gänge, Direktgangausführung | |
Übersetzung HA: | 2,59 |
U/min bei 85 km/h (größter Gang): | 1.190 |
Fahrerhaus | |
Scania S Highline, Vier-Punkt-Luftfederung | |
Außenbreite/-länge: | 2.470/2.280 mm |
Einstiegsstufen: | 4 |
Einstiegshöhe: | 1.600 mm |
Scheibe/Rückwand: | 2.080 mm |
Innenhöhe vor Sitz: | 2.030 mm |
Innenhöhe Mitte: | 2.090 mm |
Höhe Motortunnel: | 0 |
Liege unten (B x L): | 810-960 x 2.190 mm |
Liege oben (B x L): | – |