Fahrbericht: Scania G 410 LNG

Scania G 410 LNG: Echte Alternative

von | 1. Dezember 2018

Wenn es um lupenreine, fernverkehrstaugliche Gasmotoren geht, ist Scania neben Iveco momentan der einzige ernst zu nehmende Anbieter. Mit ihrem OC13 haben auch die Schweden gute Argumente.
Foto: Scania

Bei 4x2-Sattelzugmaschinen wie dem getesteten G 410 bilden zwei LNG-Kryotanks mit zusammen 740 Liter Nennvolumen (entspricht ca. 313 kg) das Maximum.

Alexander Vlaskamp, Senior Vice President von Scania Trucks, gab zur IAA 2018 eine klare Einschätzung ab: „Wenn man Gesamteuropa betrachtet, sind unterschiedliche Gaslösungen zurzeit mit Sicherheit die attraktivsten alternativen Kraftstoffe.“ Scania reiht sich damit in eine Linie mit Iveco und Volvo ein, wo Gasmotoren beziehungsweise Gas-Diesel-Hybride gerade einen mächtigen Schub erfahren. Wie die italienischen Kollegen (und im Gegensatz zu Volvo) setzen auch die Konstrukteure aus Södertälje auf Gas als einzigen Kraftstoff und das Ottoprinzip, also Zündung des stöchiometrischen Gemischs mit Zündkerzen. Im Fall Scania stammt dabei die komplette Einspritzanlage von Bosch.

Drei Leistungsstufen bieten die Schweden derzeit mit Gasantrieb an: 280 oder 340 PS aus dem 9,3 Liter großen Fünfzylinder OC09 sowie 410 PS aus dem 12,7 Liter großen Reihensechszylinder OC13. Letzterer ist der jüngste Vertreter und mit immerhin 2.000 Nm maximalem Drehmoment (2.150 Nm sind es beim Diesel-Pendant DC13) auch eine echte Alternative für den Einsatz im Fernverkehr. Interessanter Nebenaspekt: Während Scania bei den Dieselmotoren bis hin zum V8 einen nahezu kompletten Schwenk in Richtung „SCR-only“ vollzogen hat, arbeiten die Gasmotoren mit einer Abgasrückführungsrate von bis 20 Prozent. Als Hauptgrund führen die Schweden thermische Aspekte ins Feld, die Abgasreinigung wäre prinzipiell wohl auch allein mit dem Drei-Wege-Katalysator zu stemmen.

Foto: Scania

Das „liquefied natural gas“ (LNG) steht wörtlich für Erdgas, kann letztlich aber (Bio-)Methan jeglicher Herkunft sein.

Bei der ersten Fahrvorstellung des 410 PS starken Gasmotors in deutschen Gefilden profitiert Scania ein wenig von der Iveco-Pionierarbeit: Treffpunkt ist die im Juni 2016 eröffnete LNG-Tankstelle vor den Toren von Magirus in Ulm. Öffentlich zugängliche Alternativen befinden sich derzeit nur in Berlin und Hamburg, doch es ist Besserung in Sicht: Unter anderem plant Shell den weiteren Ausbau der LNG-Infrastruktur und auch das Bundesverkehrsministerium strebt bis 2025 flächendeckend rund 40 Tankstellen an. Doch zurück zum Testfahrzeug. Von Ulm aus geht es auf einen knapp 250 Kilometer langen Rundkurs über die A7 nach Lindau, ein Stück am Bodensee entlang und über die B30 wieder retour. Der dabei eingefahrene Durchschnittsverbrauch von 23,2 kg LNG (was vom Energiegehalt her knapp 31 Liter Diesel entspricht) ist schwer einzuschätzen, fällt im gedanklichen Vergleich mit einem ähnlich motorisierten Diesel aber zumindest nicht aus dem Rahmen.

Beim Gesamtgewicht mit gelenktem Zweiachs-Sattelauflieger beließ es Scania bei 32 Tonnen, was in etwa die angepeilte Obergrenze für den 410er darstellt. Volle 40 Tonnen sind aber durchaus möglich, zum Beispiel im schweren Verteilerverkehr mit abnehmendem Gewicht von einer Abladestelle zur nächsten. Dabei käme auch die Tankstellenversorgung infrage: ADR-Varianten mit dem OC13 bietet Scania ebenso an wie Low Deck-Varianten für Volumentransporte. In jedem Fall ist der Retarder unverzichtbar, denn abgesehen vom reinen Schleppmoment ist beim Gasmotor verzögerungstechnisch nichts zu holen.

Noch leiser als in einem Diesel-Scania

Auf der Autobahn den Tempomat auf übliche 85 km/h gesetzt, macht sich auf dem ersten hügeligen Streckenabschnitt das Gefühl breit, dass irgendwas fehlt. Des Rätsels Lösung: Ein Freilauf ist in Verbindung mit dem Gasmotor (noch) nicht in die Getriebesteuerung integriert, ebenso glänzt die „Pulse-and-Glide“-Funktion durch Abwesenheit. Dem stetigen Wechsel aus Angasen und Rollenlassen, den das Scania-System auf leicht welliger Fahrbahn verordnet, dürften freilich die wenigsten Fahrer eine Träne nachweinen. Ansonsten ist das typische Scania-Software-Triple installiert, also Eco-, Standard- und Power-Modus inklusive Kickdown.

Auch die Schaltungen des automatisierten Optidriver-(Direktgang-)Getriebes gehen gewohnt schnell und sachte vor sich, allerdings macht sich bei den einzelnen Gangwechseln deutlich ein Zischen aus Richtung Wastegate bemerkbar. Davon abgesehen geht es im Gas-Scania sehr ruhig zu, auf der flachen Autobahn bewegt sich der Schalldruckpegel nur um rund 61,5 dB(A) – weniger noch, als bei den im Wettbewerbsumfeld ohnehin sehr leisen Diesel-Scania. Ausgeladen auf die erwähnten 32 Tonnen passt auch die Gesamtübersetzung gut zur Motorcharakteristik. Mit 2,59 übersetzter Hinterachse liegen auf der Autobahn rund 1.200 Umdrehungen an, und auf der flachen Landstraße sind 65 km/h bei nur 910 Umdrehungen im 12. Gang ebenfalls kein Problem.

Foto: Scania

Der Sechszylinder-Methan-Reihenmotor Scania OC13 basiert auf dem 12,7-Liter-Diesel aus gleichem Haus.

Nicht nur mit dem gewählten Gesamtgewicht, auch mit der Wahl der Kabine unterstreicht Scania den angepeilten Einsatz im regionalen Verteiler- und mittleren Fernverkehr: Aufgebaut ist ein Normaldach-Fahrerhaus der G-Serie: tief montiert mit drei Einstiegsstufen, über 30 Zentimeter hohem Motortunnel und maximal 1.800 Millimeter Innenhöhe vor den Sitzen. Zur unteren Liege noch die optionalen Schränke an der Rückwand, dazu ein flacher aber großflächiger Kühlschrank, und fertig ist die gemütliche Behausung für die ein oder andere Übernachtung. Alternativ sind die LNG-Scania auch mit den weiteren G- sowie den größeren, durchschnittlich aber auch rund 100 Kilogramm schwereren R-Fahrerhäusern zu bekommen.

Innen liefern im Grunde nur die angepassten Anzeigen im Display, mit den Trip-Daten zu Momentan-, Durchschnitts- und Gesamtverbrauch in „Kilogramm LNG“, einen Hinweis auf den Gasmotor. Zudem prangt auf der Sonnenblende eine Gedächtnisstütze für den Fahrer: Ein signalgelber Aufkleber liefert eine grobe Orientierung, wie lange das Fahrzeug mit vollen LNG-Tanks parken kann, bevor ab 16 bar Überdruck kontrolliert Gas abgelassen wird. Die Tabelle ist absteigend sortiert von 5 Tagen bei 10 bar anfänglichem Tankdruck bis zu einem Tag bei 14 bar. Wie gesagt, das Ganze dient einer ungefähren Einschätzung und ist von weiteren Faktoren wie der Außentemperatur abhängig. Das Ablassen von Gas geschieht letztlich über ein Röhrchen an der Rückwand, wie man das in ähnlicher Form auch von den Gasfahrzeugen der Wettbewerber kennt.

Tank-Leitfaden

Minus 160 Grad kaltes Flüssiggas: Dass für die Betankung von LNG-Fahrzeugen besondere Regeln gelten, sollte jedem einleuchten. Kältehandschuhe und Gesichtsschutz sind Pflicht, danach liest sich der Tankvorgang in Kurzform wie folgt: Erdung am Fahrzeug anschließen, Anschlüsse mit Druckluft reinigen und a) Pendelleitung anschließen, um gegebenenfalls den Tankdruck zu reduzieren oder b) direkt die Befüllkupplung aufsetzen. Die eigentliche Tankung startet dann per Totmannschaltung und endet, wenn hörbar die Pumpe abschaltet. Zurück geht´s in umgekehrter Reihenfolge: Anschlüsse lösen, saubermachen, einhängen und die Erdungszange wieder ab.

Foto: Scania

Ohne Hochdach bietet sich die Kombination aus einer Liege und Schrankwand an.

Technische Daten

MOTOR

Wassergekühlter Sechszylinder-Methan-Reihenmotor (Scania OC13 01/410) mit Wastegate-Turbolader (feste Geometrie), Einzelzylinderköpfe, vier Ventile pro Zylinder, stöchiometrische Verbrennung nach dem Otto-Prinzip, Lambdasonde, Einspritzanlage von Bosch; Abgasreinigung (Euro 6): gekühlte AGR (max. 20 %) und Dreiwege-Kat

Bohrung/Hub: 130/140 mm

Hubraum: 12.700 cm3

Leistung: 302 kW/410 PS bei 1.900/min

Max. Drehmoment: 2.000 Nm bei 1.100 bis 1.400/min

GETRIEBE/RETARDER

Scania GRS895R, Dreigang-Grundgetriebe mit Range- und Splitgruppe, 12 Gänge, Übersetzung 1,00 bis 11,32, automatisierte Schaltung (Zwei-Pedal-Opticruise) mit den Fahrmodi Standard/Economy/Power (mit Kickdown); Scania-Retarder R4100D mit Freilauffunktion, bis 680 PS/4.100 Nm.

 

FAHRGESTELL

U-Profil-Leiterrahmen (F800), 8 mm stark, Federung vorn/hinten: Zwei-Blatt-Parabel/Zwei-Balg-Luft, Bereifung vorn/hinten: 315/70 R 22,5, Lenkung ZF Servocom 8098, 450 mm Lenkraddurchmesser, 4,75 Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag, Radstand 3.750 mm, 15.530 mm Wendekreis, 2 LNG-Tanks mit 340 und 400 l Nennvolumen (entspricht 313 kg LNG).

 

HINTERACHSE

Einfach übersetzte Hypoidachse (Scania R780) mit Differenzialsperre, Übersetzung 2,59 : 1 (=1.190/min bei 85 km/h und Bereifung 315/70 R 22,5)

 

GEWICHT

Testfahrzeug (inkl. Fahrer, vollen Tanks, ohne Reserverad): 7.875 kg

 

FAHRERHAUS

CG20N, langes Fahrerhaus mit normal hohem Dach und einer Liege, zusätzliches Staumodul an der Rückwand

Außenbreite/-länge: 2.470/2.270 mm

Vorderer Überhang: 1.410 mm

Höhe Stufen: 355/315/275 mm

Gesamthöhe Einstieg: 1.260 mm

Frontscheibe/Rückwand: 2.060 mm

Fenster zu Fenster: 2.285 mm

Innenhöhe vor Sitz/auf Motortunnel: 1.800/1.465 mm

Höhe Motortunnel: 325 mm

Liege unten (B × L): 670–790 × 2.175 mm

Liege oben (B × L): –

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