Experten-Test Iveco Stralis 460: Der Weg der Mitte
Motoren um 11 Liter Hubraum mit Leistungen weit über 400 PS und ordentlich Drehmoment: Bei diesem Thema war Iveco schon früh ganz vorn mit dabei. Auf maximal 450 PS und 2.100 Nm brachte es bereits der nur 10,3 Liter große Cursor 10, dessen Laufbahn im Iveco Stralis aber mit Euro 6 endete. Es folgte der Cursor 11, der mit 11,1 Liter Hubraum und bis zu 480 PS heute sogar an der 500-PS-Marke kratzt. Die Zielrichtung „Leichtbau“ hat dabei allerdings etwas gelitten, vom Gewicht her trennen den Cursor 11 und den 12,9-Liter-Motor Cursor 13 nur noch rund 50 Kilogramm. Früher als andere setzte Iveco auch auf den Slogan „SCR-only“, also reine Abgasnachbehandlung mit AdBlue. Inzwischen ist die starre Haltung etwas aufgeweicht: Die jeweils stärksten Cursor-11- und Cursor-13-Motoren mit 480 beziehungsweise 570 PS arbeiten im Teillastbereich mit einer geringen Abgasrückführungsrate von maximal acht Prozent („Smart EGR“).
Als (noch) lupenreiner Vertreter der SCR-only-Fraktion präsentiert sich dagegen der Stralis 460 im aktuellen Test. 460 PS und 2.150 Nm Drehmoment lauten in diesem Fall die Eckdaten des Cursor 11, neuerdings gepaart mit einem ZF Traxon- Getriebe und vorausschauendem Tempomaten „Hi-Cruise“. Die Vorwahltasten sitzen im Armaturenbrett, geschaltet wird am Lenksäulenhebel. Zweimaliger Druck auf die „D“- Taste aktiviert den manuellen Modus, ansonsten kassiert die Elektronik eigene Eingriffe nach ein paar Sekunden wieder ein, sofern kein Nutzen erkennbar ist. Früheres Hochschalten am Ende einer Steigung wird aber akzeptiert, wobei das auf der Testrunde erstaunlich häufig der Fall war: Trotz GPS-gestützter Streckenerkennung schaltet die Automatik vor allem an langen Anstiegen, die zur Kuppe hin nur ganz allmählich flacher werden, viel zu zögerlich wieder einen halben Gang höher.
Auffällig ist auch der sehr sparsame Umgang mit dem Ecoroll-Freilauf, im Vergleich zum Beispiel mit DAF, Mercedes oder Scania. Den Tempomat auf 85 km/h sowie die Über- und Unterschwinger auf übliche plus/minus 5 km/h gesetzt, tendiert die Elektronik eindeutig zum reinen Schubbetrieb gegenüber längeren Rollphasen im Leerlauf. Unterm Strich lässt Iveco damit einiges an Spritspar-Potential liegen, denn der Verbrauch auf leichten Strecken (hügelig, aber tendenziell bergab) liegt mit 29,4 Litern rund drei Prozent höher als bei den bislang besten Vertretern um 450 PS. Bergauf versemmeln die nicht ganz optimale Schaltstrategie und wohl auch die vielen Schaltungen mit langer Achse (2,47 zu Eins) das ein oder andere Zehntel, so dass am Ende mit durchschnittlich 34,3 Liter Diesel ein guter, aber eben kein sehr guter Wert in Richtung 33-Liter-Marke zu Buche steht. Ein hoher AdBlue-Zuschlag von knapp 2,9 Litern kommt außerdem noch dazu. Wobei sich die Rechnung mit Blick auf die Geschwindigkeit ein wenig relativiert: Der Stralis 460 zählt zu den schnellsten Vertretern seiner Leistungsklasse – erst recht mit dem kleinen und relativ drehmomentschwachen Motor.
Zurückführen lässt sich die forsche Gangart darauf, dass Iveco beim Testwagen auf die Aktivierung des „Eco-Switch“ verzichtete. Neben einer weniger tempoorientierten Schaltstrategie wird damit bei 85 km/h abgeregelt, das Drehmoment bei Teilbeladung reduziert und der Kickdown abgeschaltet. Einfach während der Fahrt umschalten lassen sich die Betriebsarten Eco/Standard beziehungsweise Power übrigens nicht: Dafür braucht es einen separaten Schlüssel für ein Schloss neben dem Diagnosestecker. Unabhängig vom Modus ist der Ecoroll-Freilauf mit oder ohne gesetzten Tempomat aktiv, vernünftigerweise aber erst ab 55 km/h und, auch das bemerkenswert, erst bei warmem Motor (ab zirka 60 Grad Wassertemperatur). Wenn schließlich die Automatik eine Ecoroll-Phase einlegt, dann geschieht das Aus- und Einkuppeln mit dem Traxon-Getriebe nochmals sachter und unmerklicher als zuvor schon mit der AS-Tronic.
Ansonsten liegt die Drehzahl auf Autobahn und Landstraße bei jeweils rund 1.130 Umdrehungen im zwölften beziehungsweise elften Gang, was eben jener 2,47er Achse – die neue Standardübersetzung im Stralis XP – geschuldet ist. Gegenüber der zuvor üblichen Variante von 2,64 zu Eins liegt das Drehzahlniveau somit um rund 80 Touren niedriger. Auf den Geräuschpegel wirkt sich das allerdings kaum aus, der liegt immer noch etwas über dem Durchschnitt.
Bergab schnellt die Drehzahl automatisch auf über 2.000 Umdrehungen, wo die maximal 506 Brems-PS starke Kompressionsbremse schon sehr ordentlich zupackt. Im mit Retarder ausgestatteten Testfahrzeug ist die Frage freilich zweitrangig. Die Reihenfolge am Bremshebel: Stufe eins für die Motorbremse, die Stufen zwei bis sechs in 20-Prozent-Schritten für den Retarder – für feines Dosieren ist also gesorgt. Gut gelöst ist die genaue Anzeige von Abstand und Tempo des Vordermanns, selbst bei vorübergehend ausgeschaltetem ACC. Eher eine nette Spielerei ist die Rückmeldung des Spurwächters in Form einer stilisierten Fahrbahn im zentralen Display: Wenn die Kamera Markierungen erfassen kann, leuchten die Seitenränder weiß, ansonsten bleiben sie blass. Was man beachten sollte: Der Spurwächter aktiviert sich nach jedem Stopp mit abgestelltem Motor neu, das ACC bleibt aber aus, bis es wieder per Tastendruck aktiviert wird.
In puncto Inneneinrichtung bietet Iveco etliche Optionen an, zum Beispiel einen drehbaren Beifahrersitz oder eine Sitzecke mit Tisch statt einteiliger unterer Liege. Sehr beachtlich ist in jedem Fall die Serienausstattung, inklusive (manueller) Klimaanlage, ISRI-Luxussitz, dimmbarem Licht und Mediencenter mit Touchscreen. Längst vorbei sind auch die Zeiten, in denen beim Stralis schon zum Ölnachfüllen die Kabine gekippt werden musste: Einfüllstutzen und auch Peilstab sitzen wieder hinter der Frontklappe. Ebenfalls Serie ist die Fahrerhaus-Luftfederung, an der Vorderachse sitzen Ein- oder Zwei-Blatt-Parabelfedern. Naturgemäß komfortabler sind letztere, die Ein-Blatt-Federn sind aber deutlich leichter und beim Testwagen auch erstaunlich gut abgestimmt. Nicht zuletzt trägt der lange Radstand von knapp 3,80 Meter zu einem insgesamt einwandfreien Fahrverhalten mit guten Handlingeigenschaften bei. Vibrationen am Lenkrad, übrigens in angenehm griffiger Lederausführung, sind ebenfalls kaum zu spüren.
Vier Außenstaufächer verbucht das „Hi-Way“-Hochdachfahrerhaus als weitere Pluspunkte, zudem wurden einige Schwachstellen wie die hakeligen seitlichen Sonnenrollos beseitigt – die neuen Teile lassen sich viel einfacher handhaben. Die eigenwillige Verdunkelung mit komplett absenkbarem Sonnenrollo vorne, an dessen seitlichen Führungen die Vorhänge angehängt werden, ist im Stralis dagegen seit jeher Geschmacksache. Erhalten bleiben dem Hi-Way bis auf weiteres auch die Holme in den Seitenscheiben, das dürfte eines der Themen für die nächste große Modellpflege sein. Was das anbelangt, liegt der letzte bedeutende Schritt schon über zehn Jahre zurück: Anno 2007 legte die Kabine um je knapp zehn Zentimeter an Höhe und Länge auf die aktuellen Grundmaße zu. Das Innenvolumen ist damit nach wie vor sehr ordentlich, an einigen Details nagt aber doch der Zahn der Zeit. Mal sehen also, wann der nächste große Wurf ansteht – und wie es dann auch mit der Motorenauswahl und der Devise „SCR-only“ weitergeht.
Messwerte und Daten | |
Dieselverbrauch | l/100 km |
Gesamte Strecke: | 34,3 |
Schwere Teilstücke: | 39,1 |
Leichte Teilstücke: | 29,4 |
Volllast (5 % Steigung): | 97,6 |
Teillast (bei 85 km/h): | 21,7 |
Geschwindigkeit | km/h |
Gesamte Strecke: | 82,0 |
Schwere Teilstücke: | 80,8 |
Leichte Teilstücke: | 83,3 |
Volllast (5 % Steigung): | 67,3 |
AdBlue (l/100 km): | 2,87 (8,4 % vom Diesel) |
steigungsbedingte Schaltungen: | 32 |
Innengeräusch Ebene (85 km/h): | 65,5 dB(A) |
Innengeräusch max. (Steigung): | 67,5 dB(A) |
Fahrgestell/Gewicht | |
Bereifung vorn/hinten: | 385/55 R 22,5 / 315/70 R 22,5 |
Reserverad j/n: | n |
Tankgröße Diesel: | 400 Liter |
Tankgroße AdBlue: | 80 Liter |
Federung: | Ein-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft |
Rahmenstärke: | 6,7 mm |
Radstand: | 3.790 mm |
Retarder j/n: | j |
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: | 7.485 kg |
Testgewicht: | 39.480 kg |
Motor | |
Reihensechszylinder (Cursor 11) mit Turbolader (mit variabler, elektronisch gesteuerter Geometrie) und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung | |
Abgasnorm: | Euro 6 |
SCR j/n: | j |
AGR j/n: | n |
Bohrung: | 128 mm |
Hub: | 144 mm |
Hubraum: | 11.118 ccm |
Leistung: | 338 kW (460 PS) bei 1.500 bis 1.900/min |
Max. Drehmoment: | 2.150 Nm bei 950 bis 1.500/min |
Motorbremse: | 372 kW bei 2.400/min |
Getriebe/Achse | |
ZF 12 TX 2210 TD; automatisiertes Zwölfgang-Getriebe, Direktgangausführung | |
Übersetzung HA: | 2,47 |
U/min bei 85 km/h (größter Gang): | 1.134 |
Fahrerhaus | |
Stralis Hi-Way, Vier-Punkt-Luftfederung | |
Außenbreite/-länge: | 2.490/2.280 mm |
Einstiegsstufen: | 3 |
Einstiegshöhe: | 1.370 mm |
Scheibe/Rückwand: | 2.070 mm |
Innenhöhe vor Sitz: | 2.250 mm |
Innenhöhe Mitte: | 2.000 mm |
Höhe Motortunnel: | 200 mm |
Liege unten (B x L): | 670-800 x 2.200 mm |
Liege oben (B x L): | 790 x 1.940 mm |