Volvo FH540 DC Globetrotter XL

Experten-Test Volvo FH540: Starker Auftritt

von | 1. Januar 2016

Das ist Fernverkehr vom Feinsten: Bärenstarker 13-Liter-Motor, sanftes Doppelkupplungsgetriebe mit cleverem Tempomat und geräumiges Globetrotter XL-Fahrerhaus lassen keine Wünsche offen.
Foto: Volvo

Größtes Fahrerhaus, stärkster 13-Liter-Motor und Doppelkupplungsgetriebe: Ein Volvo FH 540 vom Feinsten.

Es war ein mutiger Schritt, den Volvo mit der Einführung des neuen FH im Jahr 2012 unternommen hatte. Denn mit Blick auf den sehr erfolgreichen Vorgänger, der seit der Indienststellung anno 1993 sein Grundbaumuster kaum veränderte, ließen die Schweden kaum einen Stein auf dem anderen. Am sichtbarsten wird das beim neuen Fahrerhaus, das mit der nun fast senkrecht stehenden Frontscheibe mit allen FH-Traditionen bricht.

Der Aerodynamik scheint das aber nicht zu schaden, denn der Teillastverbrauch erweist sich als ziemlich niedrig – zumindest gilt das für das Testfahrzeug, ein FH 540 mit großem Globetrotter XL-Fahrerhaus. Die 540 PS bedeuten mit dem 12,8 Liter großen Reihensechszylinder D13K die Spitzenmotorisierung. Bei der Euro-6-Generation hat Volvo etwas Feinarbeit betrieben, was sich vor allem mit noch mehr Kraft im unteren Drehzahlbereich auswirkt: Das maximale Drehmoment von 2.600 Nm liegt nun bereits bei 1.000 statt zuvor 1.050 Umdrehungen an.

Optimal verwaltet werden die Bärenkräfte vom automatisierten Getriebe I-Shift DC in Verbindung mit dem vorausschauenden „I-See“- Tempomat, der nach Anfangsschwierigkeiten inzwischen einwandfrei funktioniert. DC steht für Dual Clutch, also das neue Doppelkupplungsgetriebe von Volvo Trucks. Die Schaltvorgänge sind damit quasi nur noch als Zucken im Drehzahlmesser wahrnehmbar: Wenn eine Kupplung öffnet und die andere gleichzeitig schließt, liegt der Anschlussgang direkt und praktisch ohne Zugkraftunterbrechung an. Ausgenommen sind davon konstruktionsbedingt lediglich Gangsprünge, die beim Zwölfgang-Getriebe aber ohnehin nur beim Anfahren sinnvoll sind, und der Gruppenwechsel zwischen dem sechsten und siebten Gang.

Foto: Volvo

Mit dem I-Shift Dual Clutch sind die Schaltvorgänge fast nur noch als Zucken im Drehzahlmesser wahrnehmbar.

Ein gewisses Manko ist aber bislang noch, dass das DC-Getriebe nur in Overdrive-Ausführung zur Verfügung steht. Der Binsenweisheit folgend, dass jede zusätzliche Zahnradpaarung mehr Reibung und damit einen geringen Wirkungsgrad bedeutet, kostet das ein wenig Sprit. Volvo betont zwar, dass der Kraftstoffverbrauch unterm Strich nicht steigt, sondern durch die enorm schnellen Schaltungen am Berg ausgeglichen wird – aber von einer Verbrauchssenkung kann eben auch keine Rede sein. So liegt der FH 540 mit durchschnittlich 35,3 Liter zwar auf einem akzeptablen Niveau, vor allem angesichts der hohen Fahrleistungen, aber auch nicht mehr als das. Zumal zusätzlich noch über drei Liter AdBlue fällig werden, gut das Doppelte als bei sonstigen AGR-Motoren. Des Rätsels Lösung: Der D13K ist sozusagen ein verkappter SCR-only-Motor, denn die ungekühlte Abgasrückführung dient nur dazu, die Abgase in Kaltlaufphasen auf die für die SCR-Anlage notwendige Mindesttemperatur von 250 Grad aufzuheizen. Geblieben ist es auch bei der Pumpe-Düse-Einspritzung. Um die zur IAA 2012 angekündigten Common-Rail-Motoren mit Turbocompound-Technik ist es auffallend still geworden, das wird wohl ziemlich sicher nichts mehr

VDS-Lenksystem ein weiteres Sahnestück

Angesichts des relativ hohen Leergewichts des Testwagens kann es in vielen Fällen eine Überlegung wert sein, auf den gut 100 Kilogramm schweren Voith-Retader zu verzichten. Die verstärkte Motorbremse VEB+ bringt es bereits bei 2.200 Umdrehungen auf ansehnliche 510 Brems-PS, und so ganz nebenbei zieht die Bremse dank Doppelkupplungsgetriebe beim Runterschalten auch unterbrechungsfrei durch. Freilich soll das kein Plädoyer contra Retarder sein, schließlich erweist sich das Zusammenwirken von Getriebesteuerung, I-See und Bremstempomat damit als allererste Sahne.

Ein weiterer technischer Leckerbissen im Testfahrzeug ist die elektronisch unterstützte Lenkung Volvo Dynamic Steering, kurz VDS. Die extrem leichte Lenkung bei niedrigem Tempo, buchstäblich mit einem Finger, ist zwar zunächst gewöhnungsbedürftig, aber man möchte es schnell nicht mehr missen. Auf Landstraße und Autobahn zieht der FH enorm spurstabil seine Bahn und es stellt sich die Frage, ob es statt der Standard-Lenkachse im Testwagen noch die Einzelradaufhängung Volvo IFS (Independent Front Suspension) sein muss. Die anfangs ausgeschlossene Kombination der beiden Systeme VDS und IFS ist seit Herbst 2015 ebenfalls möglich, scheint dann aber doch eher etwas für Technikverliebte mit dickem Portemonnaie. Handling und Fahrverhalten sind jedenfalls im Test bereits topp, mehr braucht es gefühlt nicht mehr.

Foto: Volvo

Wenn eine Kupplung öffnet und die andere gleichzeitig schließt, liegt der Anschlussgang direkt und praktisch ohne Zugkraftunterbrechung an.

Ähnliches gilt für den aufgeräumten Arbeitsplatz mit guten Sichtverhältnissen, insbesondere an den schlanken Spiegeln vorbei. Die als Notausstieg konzipierte Dachluke lässt zwar keine Montage einer Aufdachklimaanlage zu, dafür hat Volvo eine eigene, vollständig integrierte Standklimaanlage entwickelt („I-Park Cool“), die mit allen Leitungen und Komponenten nur 45 Kilogramm zusätzlich beisteuert. Von Vorteil ist die Luftverteilung über das normale Belüftungssystem, fraglich die Einsatzzeit bis zur automatischen Abschaltung durch die integrierte Batteriekontrolle. Um die Elektrik optimal in Schuss zu halten, raten etliche Volvo-Händler ihren Kunden daher auch zu einem Batteriepulsgerät aus dem Zubehörprogramm.

Die Inneneinrichtung zeigt viel Liebe zum Detail, von der dimmbaren Beleuchtung über den riesigen Lenkrad-Verstellbereich bis zum drehbaren Beifahrersitz und dem bewährten Staumodul an der Rückwand. Der I-Shift-Hebel sollte zumindest optional an der Lenksäule zu finden sein (im Konzernbruder Renault T geht es doch auch), aber sonst zeigt der aktuelle Globetrotter XL keine echten Schwächen. Wie generell gilt: Mehr Fernverkehrskomfort wie im Testfahrzeug kann man sich kaum Wünschen.

Foto: Volvo

Über der Scheibe ist das mittlere Fach zugunsten der Kopffreiheit eingerückt, der Beifahrersitz ist in drehbarer Ausführung zu haben.

Messwerte und Daten
Dieselverbrauch l/100 km
Gesamte Strecke: 35,3
Schwere Teilstücke: 40,2
Leichte Teilstücke: 30,3
Volllast (5 % Steigung): 100,9
Teillast (bei 85 km/h): 21,7
Geschwindigkeit km/h
Gesamte Strecke: 84,9
Schwere Teilstücke: 83,5
Leichte Teilstücke: 86,2
Volllast (5 % Steigung): 73,0
AdBlue (l/100 km): 3,22 (9,1 % vom Diesel)
steigungsbedingte Schaltungen: 17
Innengeräusch Ebene (85 km/h): 62,4 dB(A)
Innengeräusch max. (Steigung): 64,5 dB(A)
Fahrgestell/Gewicht
Bereifung vorn/hinten: 315/70 R 22,5
Reserverad j/n: n
Tankgröße Diesel: 405 Liter
Tankgroße AdBlue: 64 Liter
Federung: Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft
Rahmenstärke: 7,0 mm
Radstand: 3.700 mm
Retarder j/n: j
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: 7.780 kg
Testgewicht: 39.850 kg
Motor
Reihensechszylinder (Volvo D13K) mit Turbolader und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, vier Ventile pro Zylinder, Einspritzung mit Pumpe-Düse-Elementen
Abgasnorm: Euro 6
SCR j/n: j
AGR j/n: j
Bohrung: 131 mm
Hub: 158 mm
Hubraum: 12.777 ccm
Leistung: 397 kW (540 PS) bei 1.450 bis 1.800/min
Max. Drehmoment: 2.600 Nm bei 1.000 bis 1.450/min
Motorbremse: 375 kW bei 2.300/min
Getriebe/Achse
Volvo I-Shift Dual Clutch (SPO2812), automatisiertes Zwölfgang-Doppelkupplungsgetriebe, Overdrive-Ausführung
Übersetzung HA: 3,08
U/min bei 85 km/h (größter Gang): 1.103
Fahrerhaus
Volvo FH Globetrotter XL; Schraubenfedern vorn, Luftfederung hinten
Außenbreite/-länge: 2.495/2.225 mm
Einstiegsstufen: 3
Einstiegshöhe: 1.565 mm
Scheibe/Rückwand: 2.060 mm
Innenhöhe vor Sitz: 2.030 mm
Innenhöhe Mitte: 2.105 mm
Höhe Motortunnel: 90 mm
Liege unten (B x L): 650-955 x 2.140 mm
Liege oben (B x L):  –

 

 

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