Experten-Test MAN TGX 18.560: Gelungener Einstand
Seit 2007 ist der MAN TGX auf dem Markt, und doch gibt es im Test des 18.560 mit altbekanntem XXL-Fahrerhaus eine doppelte Premiere: Der 15,2 Liter große Reihensechszylinder D38 und das automatisierte ZF-Traxon-Getriebe geben sich auf Verbrauchsmessfahrt erstmals die Ehre. Etwas stutzig macht dabei nur, dass MAN noch zur IAA 2014 angekündigt hatte, ab 2016 in den Baureihen TGS und TGX Scania-Getriebe einzusetzen. Bekanntlich gehören die Bayern und Schweden ja mittlerweile beide zu VW. Nun also doch die neueste ZF-Generation. Sei´s drum, in Wolfsburg hat man im Moment sicher andere Probleme als ausbleibende Synergieeffekte im Lkw-Geschäft.
Aber zurück zum Thema. 560 PS sind im „normalen“ TGX das Maximum, die 640-PS-Spitzenmotorisierung ist Schwerlast-Sattelzugmaschinen im Bereich bis 250 Tonnen Zuggewicht vorbehalten. Ebenfalls exklusiv für den Schwertransport gibt es ist die bis zu 816 PS starke Motorbremse Turbo EVB. Die Standard-EVB im Testfahrzeug bringt es zwar immerhin auf 462 Brems-PS, aus über 15 Liter Hubraum ist das heutzutage aber nicht die Welt. In Kombination mit dem ZF-Intarder ist die Frage indes müßig, mit gängigen Autobahngefällen hat der Bremstempomat keine Mühe und die Getriebesteuerung schaltet auch selbstständig auf über 2.000 Touren runter. Alternativ zum gesetzten Bremstempomat wird die am Pedal angebremste Geschwindigkeit ähnlich wie bei Scania gehalten, eine komfortable Sache. Der normale Tempomat fliegt bei Beibremsungen übrigens raus, was wohl die meisten Fahrer bevorzugen dürften.
Das Schaltgeschehen dirigiert inzwischen auch bei MAN ein vorausschauender Tempomat, bei den Münchnern Efficient Cruise genannt und mit rund 1.750 Euro Listenaufpreis auch recht erschwinglich. Für den passenden Anfahrgang ist zudem ein Neigungssensor verbaut. Kombiniert ist Efficient Cruise wie heute allgemein üblich mit einem Freilauf (Ecoroll) und verschiedenen Setzwerten für Über- und Unterschwinger in Gefällen und vor Kuppen beziehungsweise beim Ausrollen. Die Werte sind jedoch nicht komplett frei wählbar, wie etwa bei Mercedes, sondern in vier feste Stufen aufgeteilt: +/- 9 km/h, +/- 7 km/h, +6/-5 km/h und +5/-3 km/h. In der Praxis scheint das aber für jede Verkehrsdichte ausreichend und zudem verlangt der schnelle Wechsel per Schalter in der Armatur nach wenig Fummelei.
Sympathisch ist auch der eher sparsame Einsatz des Ecoroll-Freilaufs. Als Richtschnur hat MAN dem System eine absehbare Rolldauer von mindestens zehn Sekunden eingeimpft. Ein stetiger Wechsel aus Gasstoß und Leerlauf, wie zuletzt etwa in einem DAF CF zu beobachten, bleibt damit aus. Um Ecoroll effektiv zu nutzen, sollte man allerdings darauf achten, den Abstandsregler (ACC) nicht auf den maximalen Abstand einzustellen. Ansonsten kann es passieren, dass der Gang schon sehr früh wieder eingelegt wird, sobald ein Vordermann ins Visier gerät – teilweise bei noch über 100 Meter Abstand.
Apropos ACC und Notbremsung: Bei der neuesten Generation der MAN-Assistenzsysteme kommt noch die Zusatzkomponente ESS (Emergency Stopping Signal) ins Spiel. Jene aktiviert bei einer erkennbaren Notbremsung zusätzlich zu den Bremslichtern auch gleich die Warnblinkanlage, um dem Hintermann den Ernst der Lage anzuzeigen. Laut MAN haben Versuche gezeigt, dass sich dadurch Auffahrunfälle weiter reduzieren lassen. Sinnvoll klingt das allemal.
Bei einem Fahrstilassistenten à la „Driver Performance Assistant“ (DAF) oder „Eco-Modul“ (Scania) muss MAN passen. Die Münchener setzen vielmehr auf eine persönliche Betreuung im Rahmen des „Connected Co-Driver“. Wenn der Chef diese Dienstleistung bucht, gibt´s im Zeitraum von einer Woche bis zu drei Monaten ein Ferntraining mit einem (menschlichen) Coach. Der befasst sich mit Fahrer, Fahrzeug und Streckenprofil gleichermaßen und erarbeitet daraus eine möglichst wirtschaftliche Fahrweise. Das technische Werkzeug dazu ist MAN Telematics, das dem Trainer (aber nicht dem Fahrer) am Firmencomputer Einblick in die Fahrweise erlaubt. Die Telematics-Hardware ist in Fernverkehrs-Sattelzugmaschinen der Baureihen TGS und TGX inzwischen übrigens Serie. Laut MAN erzielt das praxisnahe Live-Training mit wenig Zeitaufwand schnelle Erfolge und erlaubt die direkte Klärung von Rückfragen per Telefon.
Gut 1,3 Tonnen Trockengewicht bringt der D38 auf die Waage, über 200 Kilogramm mehr als der 12,4 Liter große D26. Den gab es zu Euro-5-Zeiten noch mit bis zu 540 PS Spitzenleistung, inzwischen ist bei 480 PS Schluss. Warum? Genaues weiß man nicht, vermutlich waren die Anforderungen an die Kühlleistung zu hoch. Fakt ist jedenfalls: Wer bei MAN in die 500-PS-Klasse einsteigen will (den D38-Motor gibt es auch mit 520 PS), muss die gut vier Zentner Mehrgewicht verkraften können. Erfreulich gering fällt dagegen der Verbrauchszuschlag aus. Mit durchschnittlich 34,8 Liter Diesel und nur rund 0,9 Liter AdBlue absolviert der 18.560 die gesamte Testrunde, das ist in dieser Leistungsklasse sehr gut.
Gepaart ist der geringe Verbrauch zudem mit einem hohen Tempo, die Traxon-Steuerung lässt die Drehzahl in Steigungen nur bis etwa 1.050 Umdrehungen fallen (dabei liegen die 2.700 Nm bis runter auf 930 Touren an) und ist auch beim Rausbeschleunigen nicht zimperlich. Auch die „Speedshifting“- Funktion mit schnelleren Schaltungen zwischen den Gängen zehn, elf und zwölf macht etwas Zeit gut. Beim Blick ins Detail zeigt sich aber, dass der gute Gesamtverbrauch den leichten und mittelschweren Etappen geschuldet ist, der Volllastverbrauch liegt über dem Durchschnitt. Auf der 30 Kilometer langen Handlingrunde über die Landstraße, gespickt mit vielen langen und bis zu achtprozentigen Steigungen, liegt der Verbrauch sogar leicht über einem Scania mit 730 PS starkem V8
Bei den im Test eingestellten +/- 7 km/h geht es theoretisch mit 92 km/h bergab, zumindest so lange, bis nach 45 Sekunden ein „Gong“ ertönt und vor einem Eintrag auf der Fahrerkarte warnt. Völlig legal ist das ja eigentlich nicht, aber zunehmend gehen fast alle Hersteller diesen Weg. Im Test stellt sich die Gewissensfrage allerdings nicht, für alle Probanden gilt traditionell die Vorgabe: 85 km/h in der Ebene und 90 km/h bergab. Bei jenen 85 km/h liegen mit der 2,53 übersetzten Achse rund 1.160 Umdrehungen an, bei denen der kernige Klang des D38 angenehm ans Ohr dringt. Weniger gilt das für die teils heftigen Windgeräusche am XXL-Fahrerhaus. Die Abstimmung mit Drei-Blatt-Feder vorne (an einer Standard-Sattelzugmaschine ziemlich ungewöhnlich) und Vier-Balg-Luftfederung hinten ist ziemlich weich, dazu kommt die luftgefederte Kabine. Fans sportlich-straffer Scania dürften hier kaum auf den Geschmack kommen.
Dass das XXL-Fahrerhaus in die Jahre gekommen ist, zeigt sich unter anderem bei der flachen Brüstung mit schmaler Ablage vorne, der zerklüfteten Stauraumaufteilung unter der Liege oder auch der Bedienkonsole mit Handbremshebel am Kabinenboden. Unterm Bett sind inzwischen schicke Rollboxen das Maß der Dinge, optimal mit großem Kühlschrank wie zum Beispiel im DAF XF oder auch Iveco Stralis. Immer mehr setzt sich zudem ein schlankes Spiegeldesign wie beim neuen Volvo FH durch, das die Sicht nach schräg vorn erleichtert – in dieser Disziplin sind die einteiligen und wuchtigen Gehäuse am MAN ebenfalls kein Ruhmesblatt. Auch eine Leiter zur oberen Liege fehlt nach wie vor, ein sportlicher Aufschwung mit dem Kühlschrankdeckel und dem Bügel am unteren Bett als Tritte muss reichen.
Immerhin kann im XXL die obere Liege auf der Fahrt in der Waagerechten bleiben, das gilt längst nicht für alle Wettbewerber. Solide Lattenroste unter den Matratzen, große Außenstaufächer mit entsprechend großen Luken und schlichtweg viel umbauter Raum haben außerdem Vorbildcharakter. Kurz: Der Münchener hat auf alle Fälle weiteres Potential und gibt mit dem D38 ein gelungenes Debut ab. Wie die Dinge im VW-Verbund weiter laufen, muss man dann sehen.
Messwerte und Daten | |
Dieselverbrauch | l/100 km |
Gesamte Strecke: | 34,8 |
Schwere Teilstücke: | 39,1 |
Leichte Teilstücke: | 30,5 |
Volllast (5 % Steigung): | 100,5 |
Teillast (bei 85 km/h): | 21,3 |
Geschwindigkeit | km/h |
Gesamte Strecke: | 85,6 |
Schwere Teilstücke: | 84,1 |
Leichte Teilstücke: | 86,9 |
Volllast (5 % Steigung): | 76,2 |
AdBlue (l/100 km): | 0,94 (2,7 % vom Diesel) |
steigungsbedingte Schaltungen: | 13 |
Innengeräusch Ebene (85 km/h): | 65,3 dB(A) |
Innengeräusch max. (Steigung): | 67,0 dB(A) |
Fahrgestell/Gewicht | |
Bereifung vorn/hinten: | 385/55 R 22,5 / 315/70 R 22,5 |
Reserverad j/n: | n |
Tankgröße Diesel: | 500+250 Liter |
Tankgroße AdBlue: | 60 Liter |
Federung: | Drei-Blatt-Parabel-/Vier-Balg-Luft |
Rahmenstärke: | 8,0 mm |
Radstand: | 3.600 mm |
Retarder j/n: | j |
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: | 8.290 kg |
Testgewicht: | 40.000 kg |
Motor | |
Reihensechszylinder (D3876) mit zweistufiger Aufladung (Hoch- und Niederdrucklader) und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung | |
Abgasnorm: | Euro 6 |
SCR j/n: | j |
AGR j/n: | j |
Bohrung: | 138 mm |
Hub: | 170 mm |
Hubraum: | 15.256 ccm |
Leistung: | 412 kW (560 PS) bei 1.800/min |
Max. Drehmoment: | 2.700 Nm bei 930 bis 1.400/min |
Motorbremse: | 340 kW bei 2.400/min |
Getriebe/Achse | |
ZF 12 TX 2821 TD, automatisiertes Zwölfgang-Getriebe, Direktgangausführung | |
Übersetzung HA: | 2,53 |
U/min bei 85 km/h (größter Gang): | 1.162 |
Fahrerhaus | |
MAN TGX XXL, Vier-Punkt-Luftfederung | |
Außenbreite/-länge: | 2.440/2.280 mm |
Einstiegsstufen: | 3 |
Einstiegshöhe: | 1.475 mm |
Scheibe/Rückwand: | 2.110 mm |
Innenhöhe vor Sitz: | 2.140 mm |
Innenhöhe Mitte: | 2.030 mm |
Höhe Motortunnel: | 100 mm |
Liege unten (B x L): | 780 x 2.160 mm |
Liege oben (B x L): | 680 x 2.120 mm |