MAN TGX 18.560 GX

Leseprobe
Experten-Test: Neuer Herzschlag im MAN TGX

von | 7. Januar 2025

Mit 12,7-Liter-D30-Motor und großem GX-Haus schickt sich ein MAN TGX 18.560 an, ein neues Münchener Kapitel aufzuschlagen.
Foto: Ralf Becker

Beim Diesel-Verbrauch auf der Teststrecke schließt der TGX 18.560 zu den bisher Allzeit-Besten Scania 500S und DAF XG+ 480 auf.

Es sind die Zehnerstellen im Bohrungsmaß, die traditionell die Typenbezeichnung von MAN-Motoren prägen. 108 Millimeter spiegeln sich im MAN D08 wider, 115 im D15, 126 im D26 und 130 im D30. So weit, so normal. Und dennoch steht der D30 im aktuellen Testwagen, einem TGX 18.560 mit großem GX-Fahrerhaus, für einen waschechten Zeitenwechsel: Der 12,7 Liter große Reihensechszylinder stammt aus dem Mutterkonzern Traton (wie MAN gerne sagt), schlussendlich aber von Scania (wie MAN nicht so gerne sagt).

Für eine gewisse Versöhnlichkeit ist immerhin gesorgt: Das Aggregat wird nicht zugeliefert, sondern mittlerweile im Werk Nürnberg von MAN selbst gebaut. Die 560 PS im Testwagen bedeuten das Maximum, die Alternativen lauten 380, 410, 440, 480 oder 520 PS. Vom Prinzip her handelt es sich praktisch um einen SCR-only-Motor, denn die ungekühlte Abgasrückführung (HGR = Hot Gas Recirculation) kommt lediglich in Schubphasen, im Leerlauf und bei Niedriglast zum Einsatz. Dafür gibt es die SCR-Abgasnachbehandlung gleich doppelt, mit zwei nacheinander angeordneten Katalysatoren mit jeweils eigener AdBlue-Eindüsung. Dieses „Twin-SCR“-Verfahren hatte Scania zunächst für den V8 eingeführt und dann auf die 13-Liter-Motoren übertragen.

Foto: Ralf Becker

Da isser: Der erste Scania-Motor im MAN, alias „Traton-Konzernmotor“ mit 12,7 Liter Hubraum.

Bei gekipptem GX-Haus ist vom neuen D30 erstmal nicht viel zu sehen, denn das gute Stück ist der Geräuschkulisse wegen gekapselt. Der Kniff macht sich bei Teillast zwar nicht allzu sehr bemerkbar (65,4 dB(A) am Fahrerohr sind immer noch unterer Durchschnitt), bei Volllast dagegen ist im Vergleich zum D26 ein positiver Effekt zu verzeichnen. Wobei, von wegen Teillast: Die gemessene Lautstärke bei Test-typischen 85 km/h bezieht sich auf den 13. von 14 Gängen, was beim Fahren in der Ebene scheinbar einen Widerspruch darstellt. Doch dem ist nicht so: Beim ebenfalls von Scania entwickelten Getriebe, das bei MAN als Tipmatic 14.33 auftritt, handelt es sich zwar formal um eine Overdrive-Ausführung, Hauptfahrgang ist aber der direkte übersetzte 13. Gang. Nach Schweden-Lesart ist deshalb auch von einem Zwölfganggetriebe plus Crawler und Overdrive die Rede, im MAN werden die Gänge aber kurzerhand von 1 bis 14 durchgezählt.

Wobei: Am Lenkrad erkennbar bleibt die Zählweise neuerdings nur, wenn die Ganganzeige im Display auf Wunsch einprogrammiert wird. Ansonsten bleibt stur das „D“ eingeplendet, und als Fahrer soll man sich über den eingelegten Gang vorzugsweise keine Gedanken machen. Die Neuerung kam bereits in der „Vor-Scania-Zeit“ im Frühjahr 2024 mit dem neuen System „Predictive Drive“, über das auch der Testwagen verfügt: Beim Fahren mit oder auch ohne Tempomat wird damit in die Fahr- und Schaltstrategie auch das Verbrauchskennfeld des Motors einbezogen.

Das System bewertet die Strecke bis zu einem Horizont von 3.000 Meter kontinuierlich bezüglich Verbrauch und Geschwindigkeit, verbunden mit der Prämisse, Schaltungen im Berg weitgehend zu vermeiden. Stattdessen schaltet der Rechner je nach Bedarf frühzeitig runter und/oder geht mit höherem Tempo in den Berg, lässt bis zur Kuppe lange ziehen und passt dafür, falls notwendig, auch das Drehmoment an. Als cleveres Detail spielt die radargestützte Nahbereichsüberwachung auf der Beifahrerseite ebenfalls eine Rolle: Erkennt das System einen Überholvorgang, wird auf ein Momentenlimit verzichtet. Dass das Ganze nicht nur theoretisch funktioniert, hat sich auf der Testrunde an mehreren Stellen auch praktisch gezeigt.

Predictive Drive mit Verbesserungspotential

Eine (noch) vorliegende Schwäche des Predictive Drive zeigt sich aber ebenfalls mehrfach: Mit dem erwähnten Horizont von 3.000 Metern kommt das System mit kurzen und knackigen Stichen deutlich besser klar, als mit langen, gleichförmigen Steigungen. Beispielhaft der zehn Kilomger lange Fünfprozenter nach dem Dreieck Moseltal: Hier wirft das System erst nach rund der halben Distanz bei nur noch 54 km/h (indiskutabel für 560 PS) mit der nächsten Schaltung den Rettungsanker.

Automatisch deaktiviert wird Predictive Drive bei getretenem Kickdown, starken Beibremsungen, manuellen Schalteingriffen (für die Dauer des Eingriffs) und im manuellen Modus (dann dauerhaft). Die übrigen voreinstellbaren Fahrmodi, unabhängig von Predictive Drive: Rangiermodus (auch mit neuer Kriechfunktion, für Langsamfahrt vorwärts und rückwärts allein mit dem Bremspedal), Efficiency Plus (eingeschränkte manuelle Eingriffe, dynamische Drehmomentanpassung, kein Kickdown), Efficiency (jederzeit manuelle Gangwahl, Kickdown) und Performance (nach oben versetzte Schaltpunkte, Fokus auf Beschleunigung und Geschwindigkeit, Predictive Drive nicht verfügbar).

Foto: Ralf Becker

Abgesehen vom dunkleren Innendekor (letztlich Geschmacksache) und den leicht modifizierten Instrumenten ist das TGX-Cockpit unverändert.

Weitere Charakteristika sind ein dynamisches Segeln, das auf nahezu ebener Strecke einen stetigen Wechsel von Gasgeben und Rollenlassen im Bereich von rund 2 bis 3 km/h bewirkt (auf der Testrunde aber erfreulich sparsam und wenig störend im Eingriff) sowie vier feste Eco-Stufen von +/- 9 bis +5/-3 km/h. Abweichende Einstellungen lassen sich in der Werkstatt vornehmen, so dankbarerweise auch für die Testfahrt mit der üblichen Vorgabe 85 +/- 5 km/h. Apropos: Absolut sympathisch ist es, dass MAN auf irgendwelche „Dips“ beim Auslauf von Gefällstrecken verzichtet. Den Bremstempomat auf 90 gesetzt, bleibt es auch dabei. Also anders als bei diversen anderen Marken, beispielsweise Volvo und Scania, die die Fuhre bis zu 45 Sekunden lang 2 bis 3 km/h über Setzgeschwindigkeit laufen lassen – spätestens bei einem Blitzer am Wegesrand nur eingeschränkt empfehlenswert.

Nicht nur bei der Schaltlogik, auch bei der Triebstrangauslegung verfolgt MAN eine andere Strategie als die Konzernkollegen aus Södertälje. So ist die 2,53er Hinterachse relativ kurz übersetzt – erst recht für einen 560-PS-Motor mit stolzen 2.800 Nm Drehmoment. Im direkt übersetzten 13. Gang dreht die Maschine damit 1.160 Touren, wogegen der Trend heutzutage eher in Richtung 1.000 geht. Zum Vergleich: Zwei vorherige Testwagen der Münchener, jeweils noch mit D26-Motor und ZF Traxon-Getriebe, kamen mit 2,31er Achse bei Tempo 85 mit 1.060/min auf exakt 100 Umdrehungen weniger.

Der Grund liegt im Overdrive, der den MAN-Strategen nun zur Verfügung steht, und den sie in Flachstücken und minimalen Gefällen rege nutzen: Dann sackt die Nadel im Drehzahlmesser auf nur noch knapp 910 Umdrehungen, was sich von Vibrationen und Geräuschkulisse her gerade noch vertreten lässt. Mit besagter 2,31er Achse, der bisherige Favorit in TGX-Sattelzugmaschinen für den Fernverkehr, wären es nur rund 825 Touren, wo der D30 schon eher Richtung Schiffsdiesel rumort – praktisch erfahren in einem Scania 500 S mit einer ebensolchen 2,31er Achse. Die Konsequenz seinerzeit: Die Schweden nutzten den Overdrive sehr viel seltener, als das nun bei MAN der Fall ist.

Weniger Verbrauch als mit D26, aber auch mehr Gewicht

So oder so reihen sich die Münchener mit dem aktuellen Testwagen in den elitären Club derer ein, die beim Dieselverbrauch auf der anspruchsvollen Teststrecke mit knapp 40 Tonnen Gesamtgewicht unter der 31-Liter-Marke bleiben – und zwar mit durchschnittlich 30,6 Litern auf Augenhöhe mit dem erwähnten Scania 500 S sowie einem DAF XG+ 480. Was die Traton-Konzernkollegen eint, ist ein fast doppelt so hoher AdBlue-Verbrauch wie der Niederländer, dafür aber gepaart mit höherer Durchschnittsgeschwindigkeit. Wobei der MAN mit dem Ausmerzen der erwähnten Kinderkrankheiten des Predictive Drive sicher noch an Tempo zulegen könnte. So aber stellt sich leider häufiger das Gefühl ein, zwar die „560“ an der Tür stehen zu haben, aber nicht wirklich mit den entsprechenden PS unterwegs zu sein – und das Trotz Testfahrt im Efficiency- statt des noch weniger lebhaften Efficiency-Plus-Programms.

Gegenüber einem anno 2022 getesteten TGX 18.510 GX mit D26-Motor, ZF-Getriebe und -Retarder zeigt sich ein erstaunlicher Gewichts-Zuwachs von gut vier Zentnern. Bei weitgehend vergleichbarer Ausstattung geht das Mehrgewicht aber nur teilweise auf den D30-Triebstrang mitsamt Scania-Getriebe und -Retarder: Zur Aufnahme des neuen Triebstrangs sind auch einige Chassis-Modifikationen notwendig, allen voran ein vorn gespreizter Rahmen. Beim Fahrverhalten ist davon im Vergleich zum D26-Triebstrang wenig zu spüren: Handling und Lenkung (elektrisch unterstützt mit aktivem Spurwächter) sind einwandfrei, das blatt-/luftgefederte Chassis (mit Einblatt-gefederter 8,5-Tonnen-Vorderachse) und die Vier-Punkt-luftgefederte Kabine gut aufeinander abgestimmt.

Foto: Ralf Becker

Mit dem Scania-Triebstrang, inklusive der notwendigen Chassis-Modifikationen, legt der TGX gut und gerne vier Zentner zu.

Wie gehabt präsentiert sich das GX-Haus, das mit über zwei Meter Stehhöhe das Maximum im MAN-Programm markiert und nach einigen Evolutionsschritten (komplett spiegelloses Kamera-Monitor-System, aerodynamische Feinarbeiten) einen hohen Reifegrad erreicht hat. Erhältlich ist ein neues, dunkleres Innendekor namens „Dark Moon Grey“ (so auch im Testwagen) und ein sachtes Update gab es für die Instrumente: Tacho und Drehzahlmesser am linken und rechten Rand sind nicht mehr als strikte Halbkreise gestaltet, sondern in zackiger „J“-Form mit mehr Platz für Fahrzeuginfos dazwischen.

Die Gerüchteküche bleibt derweil ebenfalls nicht kalt. So ist einerseits von neuen Traton-Einheitsfahrerhäusern für MAN und Scania die Rede (womöglich im Zusammenhang mit aerodynamisch begründeter Zusatzlänge), andererseits von einem Mehr an Markenidentität: Mit einem alternativ zum D30 doch noch für Euro 7 beziehungsweise EPA 2027 weiterentwickelten MAN D26 (dann vermutlich auch wieder für US-Kunden der Traton-Konzernmarke International, wo der Münchener Motor in der Vergangenheit schon Dienst geschoben hat).

Das aber bleibt Zukunftsmusik. Fakt ist derweil: Beim reinen Dieselverbrauch haben die Münchener zu den derzeit Besten der Zunft aufgeschlossen. Der neue Herzschlag passt für´s erste.

Weitere Informationen:
MAN auf der IAA: Diesel, Strom und Wasserstoff (22.07.24)
MAN Modelljahr 2024: Vorausschauende Maßnahmen (24.04.2024)
Experten-Test MAN TGX 18.480 GM: Nochmals optimiert (01.11.22)
Experten-Test Scania 500 S: Ausrufe-Zeichen! (01.04.22)
Experten-Test MAN TGX 18.510 GX: Kaum Schwächen, viele Stärken (01.04.22)

Messwerte und Daten
Dieselverbrauch l/100 km
Gesamte Strecke: 30,6
Schwere Teilstücke: 34,6
Leichte Teilstücke: 26,6
Volllast (5 % Steigung): 84,5
Teillast (bei 85 km/h): 19,6
Geschwindigkeit km/h
Gesamte Strecke: 83,5
Schwere Teilstücke: 82,2
Leichte Teilstücke: 84,8
Volllast (5 % Steigung): 69,6
AdBlue (l/100 km): 3,44 (11,10 % vom Diesel)
steigungsbedingte Schaltungen: 11 (ohne Schaltungen vom Overdrive zurück in den 13. Gang)
Innengeräusch Ebene (85 km/h): 65,4 dB(A)
Innengeräusch max. (Steigung): 66,7 dB(A)
Fahrgestell/Gewicht
Bereifung vorn/hinten: 385/55 R 22,5 / 315/70 R 22,5
Reserverad j/n: n
Tankgröße Diesel: 490 Liter
Tankgroße AdBlue: 80 Liter
Federung: Ein-Blatt-Parabel-/Vier-Balg-Luft
Rahmenstärke: k.A.
Radstand: 3.600 mm
Retarder j/n: j
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: 7.725 kg
Testgewicht: 39.600 kg
Motor
Reihensechszylinder (MAN D3066 LF10), zweistufiger Turbolader mit Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, zwei obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Hochdruckeinspritzung XPI
Abgasnorm: Euro 6e
SCR j/n: j
AGR j/n: n
Bohrung: 130 mm
Hub: 160 mm
Hubraum: 12.742 ccm
Leistung: 412 kW (560 PS) bei 1.800/min
Max. Drehmoment: 2.800 Nm bei 900 bis 1.350/min
Motorbremse: 354 kW bei 2.400/min
Getriebe/Achse
MAN Tipmatic 14.33 (Scania G33CM), automatisiertes Zwölfganggetriebe mit Crawler und zusätzlichem Overdrive (in Summe 14 Gänge), Direktgangausführung, 4 Rückwärtsgänge, Übersetzung 20,81 bis 0,78
Übersetzung HA: 2,53
U/min bei 85 km/h (13. Gang/Overdrive): 1162
Fahrerhaus
MAN TGX GX, Vier-Punkt-Luftfederung
Außenbreite/-länge: 2.440/2.280 mm
Einstiegsstufen: 3
Einstiegshöhe: 1.525 mm
Scheibe/Rückwand: 2.110 mm
Innenhöhe vor Sitz: 2.130 mm
Innenhöhe Mitte: 2.000 mm
Höhe Motortunnel: 90 mm
Liege unten (B x L): 700-800 x 2.000 mm
Liege oben (B x L): 700 x 2.000 mm

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