MAN Predictive Drive

Leseprobe
MAN Modelljahr 2024: Vorausschauende Maßnahmen

von | 24. April 2024

In die schweren Baureihen TGS und TGX implementiert MAN die erweiterte Vorausschau Predictive Drive, auch für den kommenden „Konzernmotor“. Ebenfalls neu: Eine 8-Gang-Vollautomatik für TGL und TGM.
Foto: MAN

Dreierpack für die MAN-Neuheiten des Modelljahrs 2024: Zwei Mal TGX plus TGM vor der Kulisse des Kloster Andechs,

Ob komplett spiegelloses Optiview-System im Jahr 2021 oder der überarbeitete D26-Motor im Jahr darauf: Die Weiterentwicklung der schweren MAN-Baureihen stand zuletzt voll unter dem Blickwinkel der Verbrauchsreduzierung. Im Modelljahr 2024 setzen die Münchener nun noch eine ausgetüftelte Feinjustierung obendrauf: Das System Predictive Drive soll die Streckenvorausschau auf ein neues Level hieven, und das gleich in doppelter Hinsicht: beim Spritsparpotential und beim Fahrkomfort.

Zunächst ein kurzer Abriss über den Status quo: Vier einstellbare Modi sind es, die MAN den schweren TGS und TGX mit automatisierten Getrieben im Normalfall mit auf den Weg gibt. Zum „Manoeuvre“-Rangiermodus addieren sich die Fahrprogramme Efficiency Plus (eingeschränkte manuelle Eingriffe, kein Kickdown, dynamische Drehmomentanpassung), Efficiency (jederzeit manuelle Gangwahl, Kickdown) und Performance (nach oben versetzte Schaltpunkte, Fokus auf Beschleunigung und Geschwindigkeit). Auch ein situatives Angasen vor Steigungen ist vorgesehen, und bei den Über- und Unterschwingern für Gefällstrecken und Kuppen setzen die Münchener auf vorgegebene Eco-Stufen von +/- 9 bis +5/-3 km/h. Hinzu kommt ein „dynamisches Segeln“, das auf nahezu ebenen Strecken einen stetigen Wechsel von Gasgeben und Rollenlassen im Bereich von rund 2 bis 3 km/h um den gesetzten Tempomatwert bewirkt (das mitunter nervige Treiben, das zum Beispiel dem Schreiber dieser Zeilen buchstäblich auf dem Magen schlägt, lässt sich aber auch abschalten). Ein Wort noch zum Punkt automatisierte Getriebe: zu rund 95 Prozent handelt es sich um ein ZF Traxon, das Scania Opticruise aus dem „Konzernbaukasten“, ohnehin nur für 4×2-Sattelzugmaschinen eine Alternative, spielt nur eine geringe Rolle.

Foto: Truckexperten

Kraftvoller Antritt, trotz zeitweiliger Drehmomentlimitierung: MAN TGX 18.540 mit GM-Kabine und 540 PS starkem D26.

Mit dem neuen Predictive Drive bleiben die aufgelisteten Einstellmöglichkeiten sämtlich erhalten, das System kommt sozusagen noch oben drauf. Aktivieren lässt sich Predictive Drive in Efficiency Plus und Efficiency (außerdem im speziellen „Tanker“-Programm für Flüssigkeitstransporte) beim Fahren mit normalem Tempomat, in ACC oder – besonders bemerkenswert – auch mit dem Gaspedal. Eine entscheidende Komponente ist die Einbeziehung des Verbrauchskennfelds in die Fahr- und Schaltstrategie. Konkret bewertet das System die vorausliegenden Streckenabschnitte bis zu einem Horizont von 3.000 Meter kontinuierlich bezüglich Verbrauch und Geschwindigkeit, und zwar unter Berücksichtigung der Verbrauchskennfelds sowie acht möglicher Zustände: aktueller Gang, ein Gang höher, ein oder zwei Gänge niedriger und das Ganze jeweils mit maximalem oder limitiertem Drehmoment. Dabei ändern sich mit der Einstellung von Efficiency Plus oder Efficiency zwar die Vorgaben bezüglich Momentenlimit und Durchschnittsgeschwindigkeit, nicht aber das grundsätzliche Wirkprinzip.

Hört sich kompliziert an, vermittelt in der Praxis aber trotz auch im normalen Efficiency-Modus eingestreutem Momentenlimit einen erstaunlich dynamischen Charakter. Beobachten ließ sich das bei ersten Probefahrten mit zwei jeweils auf 36 Tonnen ausgeladenen TGX-Sattelzügen mit 480 und 540 PS starkem D26-Motor (dies eine Neuheit am Rande: der 520er wurde auf 540 PS gesteigert, allerdings bei gleichem maximalen Drehmoment von 2.650 Nm wie zuvor).

Kraftvolles Fahrgefühl trotz zeitweiligem Momentenlimit

Die Strecke führte nur wenige Kilometer über die Autobahn, überwiegend dagegen über enge und kurvige Landstraße mit bis zu 12-prozentigen Steigungen im Münchener Umland. Praktisch scheint es oberste Prämisse des Systems, Schaltungen und somit Zugkraftunterbrechungen in Steigungen fast vollständig zu vermeiden. Stattdessen schaltet der Rechner am Fuß einer Steigung auch schon mal zwei Gänge runter und hält den eingelegten Gang bis zur Rollphase vor der Kuppe. Um sich dennoch nah des Verbrauch-Bestpunkts zu bewegen, wird dann eben situativ das Drehmoment angepasst, anstatt wie früher gnadenlos die Drehzahl zu drücken (verbunden mit dem unguten Gefühl, auf der letzten Rille den Berg hochzukriechen).

Umgekehrt verfährt die „Predictive Brake“ abhängig von Länge und Grad des bevorstehenden Gefälles mit frühzeitigen Rückschaltungen, und berücksichtigt dabei auch die verfügbare Dauerbremsleistung – veranschaulicht wiederum mit den beiden Testwagen, von denen der 480er mit Retarder ausgestattet war, der 540er nur mit Motorbremse. Soweit, die Betriebsbremsen mit einzubeziehen, gehen die Münchener aber (noch) nicht. Somit finden Kurvenradien, Kreisverkehre, Ortseingangsschilder und Tempolimits zwar Berücksichtigung (soweit in der gespeicherten Karte hinterlegt), aus Gefällstrecken heraus ist aber der Fahrer mit Beibremsungen in der Pflicht. In nicht allzu ferner Zukunft soll dazu aber ein weiterer Evolutionsschritt folgen, wobei, so der O-Ton des begleitenden MAN-Ingenieurs: „Wir haben konkret nicht das Ziel, mit dem Tempomat durch Kreisverkehre zu fahren.“

Im Gegensatz zum bisherigen Efficiency Plus (das, ist man ehrlich, sich bei Fahrern keiner allzu großen Beliebtheit erfreut), vermittelt die vergleichsweise stürmische Predicitve Drive-Schaltstrategie vorm Berg einen kraftvollen Antritt. Hinzu kommt eine clevere Verbesserung, die sich bei den Versuchsfahrten insbesondere auf den kurzen Autobahnabschnitten bewähren konnte: Das System nutzt das für die Nahbereichsüberwachung installierte Seitenradar zusätzlich dafür, Überholvorgänge zu erkennen und entsprechend auf ein Momentenlimit zu verzichten – einer schnellen Vorbeifahrt in der Steigung steht die Elektronik somit nicht mehr im Wege.

Foto: Truckexperten

Predictive Drive-Versuchsfahrzeug Nummer Zwei mit 480 PS und Retarder: MAN TGX 18.480 mit großem GX-Haus.

Damit man sich als Fahrer schon gleich gar keine Gedanken mehr darüber macht, welcher Gang nun eigentlich anliegt, wird die Ganganzeige mit aktiviertem Predictive Drive konsequenterweise unterdrückt. Das lässt sich zwar auf ausdrücklichen Wunsch in der Werkstatt wieder umstellen, aber die Botschaft ist klar: einfach fahren, und die Automatik ihren Job machen lassen.

Aktiv ist Predictive Drive bereits ab 25 km/h (ein warmer Motor beziehungsweise mindestens 65 Grad Kühlwassertemperatur vorausgesetzt) und einem gültigen verfügbaren Kartenhorizont. Was letzteres betrifft: Die Karte ist fix auf dem Steuergerät hinterlegt und bekommt von Zeit zu Zeit ein online-update, kontinuierliche Aktualisierungen (zum Beispiel auf Basis einer Cloud-Datenbank wie bei Volvo) finden aber nicht statt. Automatisch deaktiviert wird Predictive Drive unter anderem bei aktiviertem Kickdown, starken Beibremsungen, manuellen Schalteingriffen (für die Dauer des Eingriffs) und im manuellen Modus (dann dauerhaft).

Das Spritspar-Potential von Predictive Drive beziffert MAN mit bis zu einem Prozent, was als reine Software-Maßnahme mit verbesserten Algorithmen einen beachtlichen Wert darstellt. Wobei: Es bedarf auch neuer Hardware in Form eines im Modelljahr 2024 neu verbauten Fahrzeugführungsrechners, weshalb sich das System auch nicht für Bestandsfahrzeuge nachrüsten lässt.

Neue Getriebe, neue Motoren

Für ein abschließendes Aha-Erlebnis sorgt die Proberunde in einem TGM 18.290 mit 290 PS starkem D08-Sechszylinder und neuem 8-Gang-Getriebe MAN Powermatic alias ZF Powerline 8 AP. Wäre nicht das Dieselgeräusch, könnte man beim gleichmäßigen, praktisch ruckfreien Dahingleiten mit dem Wandlergetriebe (mit zweifachem Overdrive) fast eine Fahrt im Elektro-Lkw vermuten. Die neue Getriebeoption mit hydrodynamischem Drehmomentwandler für TGL und TGM sieht MAN vor allem für städtische Verteiler-Lkw, Entsorgungs-, Einsatz- und Kommunalfahrzeuge vor. Entsprechend addieren sich zu den Fahrprogrammen Efficiency und Performance die speziellen Varianten Collect, Emergency und Municipal.

Apropos D08-Sechszylinder: Gut möglich, dass vom ureigenen Lkw-Motorenprogramm der MAN künftig nur die Baureihe D08 mit dem 4,6-Liter-Vierzylinder D0834 und 6,9-Liter-Sechsyzlinder D0836 überlebt. Dass mit Euro 7 die Tage des MAN D26 gezählt sind, und dafür die Umstellung auf einen „Konzerntriebstrang“ mit Scania DC13-Motor (gefertigt in Nürnberg) und die Scania-Getriebe G25 und G33 erfolgt, ist beschlossene Sache. Das gleiche Schicksal wird sehr wahrscheinlich den Neun-Liter-Sechszylinder MAN D15 ereilen (mit dem Scania Fünfzylinder DC09 als Nachfolger).

Einzig beim 15,2 Liter großen D38 ist die Zukunft noch offen, denn in dieser Hubraumklasse ist der Scania V8 kein wirkliches Äquivalent. Dem neutralen Beobachter kommt dabei auch die US-amerikanische VW- beziehungsweise Traton-Tochter Navistar in den Sinn (15-Liter-Motoren stehen in Nordamerika hoch in der Gunst), aber hier kommt dem Vernehmen nach wohl doch eher der Cummins X15 zum Zug. Einstweilen steht aber immerhin fest: Der Predictive Drive steht für den TGX mit D38-Motor ebenfalls zur Wahl. Passen müssen aber die TGS und TGX mit dem kleinen D15: Das Spiel mit der Drehmomentreduzierung würde beim ohnehin nur bis zu 1.800 Nm starken 9-Liter-Motor nicht wirklich viel Sinn machen.

Die Testwagen:

MAN TGX 18.540 4X2 BL; GM-Fahrerhaus; ausgeladen auf rund 36 Tonnen
Motor: D2676LFBI Euro 6e; 12,4 Liter Hubraum; 397 kW (540 PS); 2.650 Nm
Getriebe: MAN TX 12.26 DD (ZF Traxon)
Dauerbremse: EVBec
Achsübersetzung: 2,31

MAN TGX 18.480 4X2 BL; GX-Fahrerhaus; ausgeladen auf rund 36 Tonnen
Motor: D2676LFAY Euro 6e; 12,4 Liter Hubraum; 353 kW (480 PS); 2.450 Nm
Getriebe: MAN TX 12.26 DD (ZF Traxon)
Dauerbremse: EVBec + Intarder
Achsübersetzung: 2,31

MAN TGM 18.290 4X2 BL; CC-Fahrerhaus; ausgeladen auf rund 18 Tonnen
Motor: MAN D0836LFBJ Euro 6e; 6,9 Liter Hubraum; 213 kW (290 PS); 1.150 Nm
Getriebe: MAN PowerMatic 08.13 OD
Dauerbremse: EVBec
Achsübersetzung: 4,62

Foto: Truckexperten

Benjamin mit butterweichen Schaltungen: MAN TGM 18.290 mit neuem 8-Gang-Wandlergetriebe.

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