Fahrvorstellung: Iveco Stralis mit Gasmotoren

Iveco Stralis LNG: Fit für den Fernverkehr

von | 1. November 2017

Iveco legt beim Gasantrieb nach und lässt auf den Cursor 9 den Cursor 13 als „Ottomotor“ folgen. Die Strategie könnte aufgehen.
Foto: LZ Media

Bereit zur Probefahrt: Sattelzugmaschinen Stralis NP mit 400- und 460-PS-Motor, beladen auf 32 Tonnen.

Zur Vorstellung des Cursor 13 NP („Natural Power“) gibt sich Iveco nicht sonderlich bescheiden: „Weil Iveco seit 20 Jahren konsequent in die Methanantriebstechnologie investiert, betrachtet sich der Hersteller nicht nur als Markt-, sondern auch als Technologieführer.“ Neutral betrachtet können die Italiener tatsächlich auf einige Erfahrung verweisen, mit über 30.000 verkauften Gasmotoren seit den 1990er Jahren (bezogen auf Fiat Powertrain, nicht allein auf Iveco).

Das aktuelle Produktprogramm reicht vom 136 PS starken Dreiliter-CNG-Motor für den Daily und dem Sechsliter-Tector CNG mit 204 PS im Eurocargo über die CNG- und LNG-Varianten der Serien Cursor 8 und Cursor 9 mit 270 bis 400 PS bis eben zum neuen, 12,9 Liter großen Cursor 13 NP. Jener ist für 4×2- und 6×2-Fahrgestelle und -Sattelzugmaschinen zu haben, für den Stralis und auch den neuen X-Way (wobei Iveco zum Thema Gasmotor und Baulogistik vor allem auf Fahrverbote für Diesel in Stadtgebieten und Lärmschutzauflagen verweist).

Auf ausreichend starke Gasmotoren für Transporter, Busse, mittelschwere und schwere Verteiler-Lkw folgt mit dem Cursor 13 nun also eine Variante mit 460 PS und immerhin 2.000 Nm Drehmoment, die speziell auf den Fernverkehr ausgelegt ist. Bislang übernahm der Cursor 9 NP mit 400 PS diesen Part noch mit, doch angesichts von nur 1.700 Nm Drehmoment aus 8,7 Liter Hubraum sind im Zugbetrieb mit hohen Ladungsgewichten doch enge Grenzen gesetzt. Wie sich der direkte Vergleich der beiden stärksten Iveco-Gasmotoren ausnimmt, ließ sich rund um den Standort Ulm mit zwei weitgehend identischen Stralis-Sattelzügen erfahren: Beide 32 Tonnen schwer, mit langstreckentauglichen LNG-Tanks bestückt und mit hohem Fernverkehrs-Fahrerhaus.

Foto: LZ Media

Der Cursor-Grundmotor bleibt wie gehabt. Wesentlicher Unterschied: Gasinjektoren seitlich und Zylinderkopf mit Zündkerzen.

Beim NP 400 markiert nach wie vor die Kombination mit der ZF AS-Tronic den Stand der Dinge. Schnell zeigt sich aber, dass das trägere Ansprechverhalten des Gasmotors bei der Abstimmung mit dem automatisierten Getriebe zu Kompromissen zwingt: Die Schaltungen sind schnell, aber ziemlich ruppig. Insbesondere das Zwischengas im unsynchronisierten Grundgetriebe anzupassen, ist mit dem Erdgas-Cursor 9 offenbar nicht so einfach.

Ganz anders die Situation im neuen NP 460 mit ZF Traxon-Getriebe. Hier sind gegenüber einem „Diesel- Stralis“ beim Gangwechsel kaum noch Unterschiede auszumachen, vom insgesamt etwas nach rechts verschobenen Drehzahlband und weiter ausgedrehten Gängen vorm Hochschalten abgesehen. Als Rezept für die jetzt sanfteren Gangwechsel nennt Iveco neben dem Traxon-Getriebe an sich eine von FPT Industrial neu entwickelte Steuerlogik für eine gleichmäßige Drehmomentabgabe während der Schaltvorgänge.

Das leicht höhere Drehzahlniveau als bei vergleichbaren Diesel-Varianten gilt für beide Gasmotoren: Im Fernverkehr peilt Iveco beim Cursor 9 NP auf der Autobahn ein Drehzahlniveau von rund 1.550 Umdrehungen an, beim Cursor 13 NP je nach Einsatzprofil von rund 1.200 bis über 1.300. Während beim kleineren Motor aber ein Direktgang-Getriebe zum Einsatz kommt, favorisieren die Italiener beim 12,9-Liter-Aggregat die Kombination aus Overdrive-Getriebe und relativ kurzer Achse (Übersetzung 3,36 oder 3,70 : 1).

Retarder mit Gasmotor ein Muss

Standard in beiden Stralis NP ist wiederum die Ausstattung mit einem in fünf Stufen dosierbaren Retarder – durch den Wegfall der Motorbremse beziehungsweise der Iveco Turbobrake beim Gasmotor zwingend geboten. Einige Details, die weitere Entwicklungsschritte dokumentieren: Im NP 400 stammen Instrumente und Display noch vom Hi-Way, inklusive der „Liter“-Angaben für Momentan- und Durchschnittsverbrauch – obwohl eigentlich „Kilogramm Gas“ gemeint sind. Der LP 460 kommt dagegen mit der neuesten Elektronikstruktur „Hi-Mux“ daher, die jetzt auch akkurat die verbrauchten „kg“ anzeigt. Auf der Höhe der Zeit präsentiert sich der NP 460 außerdem mit vorausschauendem Tempomat („Hi-Cruise“), mit dem sich auch die Ecoroll-Phasen viel effizienter nutzen lassen. Entsprechend ist Ecoroll beim NP 460 auch beim Fahren mit Gasfuß aktiviert, beim NP 400 nur mit Tempomat. Und noch ein deutlicher Unterschied: Ist es im NP 400 im Vergleich zum Cursor 9-Diesel schon sehr leise, wird das vom NP 460 locker getoppt: Mit dem großen Gasmotor ist auf der flachen Autobahn außer Windgeräuschen kaum noch etwas zu hören. Zudem läuft der Cursor 13 NP noch vibrationsärmer als der Neunliter-Motor und spricht buchstäblich spontaner auf´s „Gas“ an. Am Fahrkomfort sollte die Akzeptanz des Cursor 13 NG also nicht scheitern.

Die volle Wohnqualität in den hohen Stralis-Häusern, inklusiver aller Assistenzsysteme, ist unverändert geboten, und auch sonst ist kaum Umgewöhnung vonnöten. Hinter der Frontklappe präsentieren sich alle Servicepunkte wie gehabt und die Bedienung im Cockpit ist auch nicht anders als beim Diesel. Besagte Verbrauchsanzeige ist neu, aber sonst: Ein zusätzlicher Knopf noch für den optionalen „Silent Mode“ (Begrenzung auf 1.500 Umdrehungen in lärmsensiblen Bereichen), aber das war´s dann.

Foto: LZ Media

Optimal wird die Umweltbilanz mit dem Einsatz von Biomethan, kurz auch Bio-LNG genannt.

Vom Fahren und Wohnen zum nächsten Punkt auf der Liste: Tanken. Zugegebenermaßen mutet das Prozedere rund um das LNG erstmal ziemlich zeitraubend an: Erdung am Tank anschließen, mit der Druckluftpistole die Dichtungen von Schmutz und Eiskristallen befreien und das Ganze mit Kälteschutzhandschuhen und Schutzbrille bewerkstelligen. Getankt wird dann per Totmannschaltung. Eine weitere Sicherheitsmaßnahme: Mit offener Abdeckung am Tank lässt sich der Motor nicht starten. Als kurz nach der „Modelltankung“ für die Fotografen zwei Fahrer von Jan de Rooy mit ihren im Feldtest laufenden Stralis NP die Ulmer LNG-Tankstelle ansteuern, geht das Ganze dann schon viel routinierter und schneller über die Bühne. Gefühlt etwa so zeitaufwendig wie mit zwei Dieseltanks am Rahmen – und hätten die Holländer auch noch AdBlue tanken müssen, wären sie vermutlich erst später wieder auf der Piste gewesen.

Was das betrifft, macht Iveco mit dem Stichwort vom „monovalenten Gasantrieb“ nach dem Ottomotor-Prinzip eine klare Ansage: Kein Diesel, kein AdBlue, keine Abgasrückführung und keine aufwendige Abgasnachbehandlung – ein Drei-Wege-Kat reicht. Zudem soll der Motor auch schlechtere Gasqualitäten als auf Methan umgerüstete Selbstzünder vertragen. Ob das Gas als CNG mit 200 bar in Drucktanks oder tiefkalt verflüssigt in doppelwandig isolierten Tanks mitgeführt wird, spielt für den Motor letztlich keine Rolle. Iveco bietet daher nicht nur Fahrgestelle rein mit CNG- oder LNG-Tanks an, sondern sogar mit beiden Varianten. Das mag durchaus eine Alternative sein für Kunden, die auf ihren Touren mit CNG- und LNG-Tankstellen planen wollen oder müssen. Standard für eine maximale Reichweite von bis zu 1.600 Kilometern sind jedoch zwei 540 Liter große LNG-Tanks links und rechts. Wer freien Bauraum am Rahmen braucht, kann alternativ 250- oder 400-Liter-Tanks wählen.

Bio-Methan als Optimalfall

Generell sind die LNG-Tanks mit Sicherheitsventilen ausgestattet, die bei mehr als 16 bar Druck kontrolliert Gas ablassen; das entsprechende Entlüftungsrohr ragt senkrecht an der Kabinenrückwand empor. Im normalen Fernverkehrseinsatz sollte der Fall aber kaum auftreten. Beim Cursor 13 NP betont Iveco weitere Neuentwicklungen bei Kraftstoffrail, Kolben, Gasinjektoren und wassergekühltem Turbolader. Klopfregelung und reaktive Luftstromsteuerung von FPT Industrial seien patentgeschützt. Zudem wurde gegenüber dem Cursor 9 NP das Wartungsintervall von 75.000 auf 90.000 Kilometer verlängert. Nicht zuletzt deswegen beziffert Iveco die Gesamtbetriebskosten des Cursor 13 NP jetzt rund neun Prozent niedriger als bei einem vergleichbaren Diesel – beim Cursor 9 NP sprachen die Italiener noch von minus sieben Prozent.

Nahezu kein Feinstaub, 10 bis 15 Prozent weniger CO2 als beim Diesel und ein geringer Geräuschpegel: Die bekannten Pluspunkte des Erdgas-Antriebs führt auch Iveco ins Feld. Beim Betrieb mit Bio-Methan, gewonnen etwa aus Abfällen („waste to gas“), gehen die CO2– Emissionen unterm Strich sogar gegen Null – je nach Land winken dafür Förderprogramme. Bleibt das Thema Kraftstoffversorgung. Im Vergleich zum bereits relativ dichten CNG-Tankstellennetz sieht es beim Fernverkehrs- Hoffnungsträger LNG noch ziemlich mau aus. Immerhin: Seit Eröffnung der ersten LNG-Tankstelle im Jahr 2011 ist die Zahl in Europa auf rund 150 Stationen angewachsen, laut Iveco kommen wöchentlich zwei bis drei dazu.

Doch zumindest in Deutschland sind die Auflagen hoch: Das Genehmigungsverfahren für die LNG-Tankstelle vor den Iveco-Werkstoren in Ulm, kameraüberwacht mit Liveübertragung zum Werkschutz, zog sich rund zwei Jahre hin – so viel zum „grünen“ Baden-Württemberg. Und wie sieht die Praxis aus? Bernd Schlumpberger, Fuhrparkleiter bei Teva/Ratiopharm in Ulm, meint dazu: „Technisch hat uns der Stralis NP im Langzeittest seit Mai überzeugt. Das Fahrzeug läuft unproblematisch, Reichweite und Verbrauch stimmen auch. Jetzt müssen wir sehen, wie es künftig mit den Anschaffungskosten aussieht.“ Das dürfte dann die nächste Hürde sein, die es für den Gasantrieb zu nehmen gilt.

Foto: LZ Media

Standard für bis zu 1.600 Kilometer Reichweite sind zwei 540 Liter große LNG-Tanks links und rechts.

Technische Daten

 

Stralis NP 400

Motor Wassergekühlter Sechszylinder-Methan-Reihenmotor (Cursor 9 F2C), obenliegende Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, stöchiometrische Verbrennung mit Drei-Wege-Katalysator und Lambdasonde, Turbolader mit elektronisch geregeltem Wastegate-Ventil, Multipoint-Einspritzung mit Niederdruck-Common-Rail; Ölwechselintervall bis 75.000 km

Bohrung/Hub 117/135 mm

Hubraum 8.700 cm³

Leistung 294 kW/400 PS bei 1.575 bis 2.000 U/min

max. Drehmoment 1.700 Nm bei 1.200 bis 1.575 U/min

Verdichtungsverhältnis 12 : 1

Gewicht (trocken) 870 kg

Umweltklasse Euro 6 C

Getriebe (Standard) ZF AS-Tronic 12 AS 1931 TD, Dreigang-Grundgetriebe mit Range- und Splitgruppe (12 Gänge), Übersetzung 1,00 bis 15,86, automatisierte Schaltung (Iveco Eurotronic); mit Intarder

 

Stralis NP 460

Motor Wassergekühlter Sechszylinder-Methan-Reihenmotor (Cursor 13 NG), obenliegende Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, stöchiometrische Verbrennung mit Drei-Wege-Katalysator und Lambdasonde, Turbolader mit elektronisch geregeltem Wastegate-Ventil, Multipoint-Einspritzung mit Niederdruck-Common-Rail; Ölwechselintervall bis 90.000 km

Bohrung/Hub 135/150 mm

Hubraum 12.900 cm³

Leistung 338 kW/460 PS bei 1.900 U/min

max. Drehmoment 2.000 Nm bei 1.100 bis 1.600 U/min

Verdichtungsverhältnis 12 : 1

Gewicht (trocken) 1.240 kg

Umweltklasse Euro 6 C

Getriebe (Standard) ZF Traxon 12 TX 2010 TO, Dreigang-Grundgetriebe mit Range- und Splitgruppe (12 Gänge), Übersetzung 0,77 bis 12,92, automatisierte Schaltung (Iveco Hi-Tronix); mit Intarder

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