Experten-Test Volvo FH LNG: Mission erfüllt
Das Beste aus zwei Welten: Nicht viel weniger verspricht Volvo mit den LNG-Varianten von FH und FM. Die seit Frühjahr 2018 bestellbaren Gas-Lkw sollen dieselbe Leistung, dieselben Fahreigenschaften und denselben Kraftstoffverbrauch bieten wie ihre dieselbetriebenen Pendants. Im Gegensatz zu Iveco und Scania, die bei ihren LNG-Modellen auf das Ottoprinzip setzen, hält Volvo dem Selbstzünder die Treue. Als Zündquelle dient eine kleine Menge Diesel, die zusätzlich zum Erdgas beziehungsweise Methan eingespritzt wird.
Soweit die Theorie. Zum Praxistest stellte Volvo einen FH 460 LNG bereit, verbunden mit der Option, die Testrunde anschließend als 420er unter die Räder zu nehmen – und damit gleich das komplette LNG-Leistungsangebot für FH und FM abzufeiern. Gesagt, getan: Ein abendlicher Werkstattaufenthalt mit Änderungen an Software und Motorsteuerung, und schon gehen Leistung und Drehmoment um 40 PS und 200 Nm in den Keller. Völlig unberührt davon bleibt das stramme Leergewicht: Mit vollen Tanks (205 Kilogramm LNG, 170 Liter Diesel und 64 Liter AdBlue) sind 8.115 Kilogramm zu notieren. Wobei man sagen muss, dass der LNG-Testwagen alles andere als gewichtsoptimiert auftrat. Mit optionaler Leichtbau-Hinterachsaufhängung (minus 150 Kilogramm), 7,1-Tonnen-Vorderachse mit Ein-Blatt-Federn (minus 70 Kilogramm) und Leichtbau-Sattelkupplung ließen sich bereits fünf Zentner sparen. Dennoch: Im Vergleich zu einem konventionellen FH, mit 300 bis 400 Liter Diesel und somit ähnlicher Reichweite wie der LNG, bleibt ein Mehrgewicht von gut einer halben Tonne.
Laut Angabe von Zulieferer Westport schlägt allein der isolierte Kryotank mit 632 Kilogramm zu Buche. Bei einem Bruttovolumen von 565 Liter fasst der Tank 205 Kilogramm LNG, was das Maximum bedeutet: Eine LNG-Doppeltankanlage, wie sie etwa Iveco anbietet, kommt für die Schweden nicht in Frage. Zwar ließen die schmalen Diesel- und AdBlue-Tanks rechts noch etwas Bauraum für einen kompakten Gas-Zusatztank frei (erst recht mit optionalem AdBlue-Tank an der Kabinenrückwand), aber das Gewicht und vor allem die Kosten würden dann vollends in die Höhe schießen.
Mit einer in den Tank integrierten Hydraulikpumpe wird das LNG dem Systemdruck angeglichen und im Verdampfer in CNG umgewandelt. Unter weiterer Anpassung von Temperatur und Druck gelangt das CNG über das integrierte Gasmodul (IGM) und das Gas-Aufbereitungsmodul (GCM) zum Motor. Der G13C arbeitet mit zwei getrennten Common-Rail-Systemen, wobei der „Zünddiesel“ vor dem Gas eingespritzt wird. Abgasnachbehandlung und Verdichtung sind identisch mit dem D13K-Diesel, verbunden mit einem willkommenen Nebeneffekt: Das Motorbremssystem VEB+ kommt weiterhin auf stattliche 510 Brems-PS bei 2.300 Umdrehungen. Gegenüber Gas-Ottomotoren, die abgesehen vom reinen Schleppmoment in dieser Hinsicht passen müssen, ist das tatsächlich ein Riesenvorteil.
Nur allzu gern rückt Volvo diesen Pluspunkt auch beim Testwagen in den Fokus, der folgerichtig ohne Retarder daherkommt. Und siehe da: Auf der Fahrt ist tatsächlich kaum ein Unterschied zu einem Diesel-FH auszumachen. Das I-Shift-Getriebe schaltet gewohnt souverän, wenn auch in einem leicht nach rechts versetzten Drehzahlband: Bei gleichen Maximalwerten sind die Motorkurven dann doch etwas weniger füllig als bei den 420 und 460 PS starken Diesel. Als Fahrer müsste man sich aber schon arg auf den Drehzahlmesser konzentrieren, um das auf Dauer zu registrieren. Denn auch bei etwas höheren Touren bleibt es im LNG-FH sehr leise und mit den von Volvo empfohlenen Setzwerten für den GPS-Tempomaten geht es sehr zügig voran.
Beide LNG-Varianten absolvierten die Runde mit 85 km/h Setzgeschwindigkeit, 7 km/h Unter- und 5 km/h Überschwinger sowie einer zusätzlichen Schwungspitze von bis zu 3 km/h im Auslauf von Gefällen (also kurzzeitig bis 93 km/h). Auch ein Angasen vor Steigungen hatte Volvo der Elektronik eingeimpft. Auf ihre jeweilige Leistungsklasse bezogen kamen damit sowohl der 420 LNG also auch der 460 LNG auf hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten. Dabei waren mit der VEB+ insgesamt auch nur wenige Beibremsungen bergab zu verzeichnen. Im rund zehn Kilometer langen Fünfprozenter das Moseltal runter hielt das System zum Beispiel durchgehend 90 km/h bei 2.100 Touren im 10. Gang. Dass Volvo dem FH LNG die relativ kurze Achsübersetzung von 2,64 verordnete, erwies sich nicht zuletzt an dieser Stelle als genau passend. Zudem beherrscht es die GPS-unterstützte Getriebesteuerung meisterhaft, schon zu Beginn eines Gefälles gegebenenfalls so weit runterzubremsen, dass es sich mit der weiteren Hangabtriebskraft und der Zielgeschwindigkeit in der Senke genau ausgeht. Kurzum: Das Gefühl hinterm Lenkrad ist ganz eindeutig „Diesel“, der Fahr- und auch der Federungskomfort topp.
Was spritsparende Nebenaggregate anbelangt, herrscht ebenfalls Gleichstand. Ein auskuppelbarer Zweizylinder-Luftpresser, eine Lenkhelfpumpe mit variablem Durchfluss und eine „intelligente“ Lichtmaschine mit Hauptladevorgang im Schubbetrieb finden sich auch im FH LNG. Eine Einschränkung gibt es aber am motorseitigen Nebenantrieb: Der treibt bereits die Hydraulikpumpe für die LNG-Zufuhr an und ist daher für andere Aufgaben auf maximal 350 Nm begrenzt.
Bleibt die Verbrauchsfrage, und die ist leider nicht leicht zu beantworten. Denn die per Bordcomputer gemessenen Werte an einer LNG-Tankstelle abzugleichen, ist schon knifflig genug. Bei gleichen Druckverhältnissen in Lager- und Fahrzeugtank beim Auf- und Nachtanken liefert die mit einer Pumpe geförderte Menge immerhin eine halbwegs verlässliche Bezugsgröße. Beim Befüllen mit einer mobilen Station, wie beim Test zwei Mal erforderlich und nur auf Druckaufbau im „Spendertank“ basierend, helfen aber auch Pi und Daumen nicht mehr weiter.
Entsprechend sind die Werte des FH-Fahrzeugrechners unter Vorbehalt zu notieren. Demnach kommt der FH 420 auf einen Durchschnittsverbrauch von 21,7, der FH 460 von 22,6 Kilogramm LNG. Pro Kilogramm werden laut Trip-Daten zudem rund 0,07 Liter Diesel und 0,09 Liter AdBlue fällig. Legt man einen Energiegehalt von 1,33 Liter Diesel pro Kilogramm LNG zugrunde und schlägt den „Zünddiesel“ obendrauf, lägen die Werte damit zirka zehn Prozent unter den Verbräuchen zuvor getesteter FH 420 und 460 mit Dieselmotor. Das legt dann doch die Vermutung nahe, dass es der Fahrzeugrechner des FH LNG etwas zu gut gemeint hat – spricht doch Volvo selbst eher von Gleichstand beim Verbrauch.
Angesprochen auf den Aufwand, neben LNG noch Diesel und AdBlue zu tanken, wiegelt Volvo ab: AdBlue füllen sei man als Fahrer sowieso gewohnt und etwas Diesel müssten ja auch die Iveco- und Scania-LNG tanken – für die Standheizung. Von derlei Spitzfindigkeiten abgesehen klingt die weitere Argumentation vertraut. So sollen gegenüber einem Diesel bereits mit Erdgas die CO2-Emissionen um 20 Prozent sinken, mit Bio-Methan um bis zu 100 Prozent (sofern zusätzlich Bio-Diesel zum Einsatz kommt). Ähnlich argumentierte Volvo bereits bei den FM Methan-Diesel, die ab Mitte 2011 in einer Kleinserie entstanden. Die Verbrennung erfolgte im Wesentlichen wie heute, bei aufgebrauchtem Gasvorrat ging es aber automatisch mit Diesel weiter. Eine Typzulassung als reines Euro-6-Gasfahrzeug wäre damit aber hinfällig. Immerhin: Im Notfall können sich auch die aktuellen LNG mit reiner Dieselkraft und maximal 20 km/h aus einem Gefahrenbereich schaffen.
Verschiedenen Anreizen wie Mautvergünstigungen zum Trotz sind rund um den LNG-Hype noch viele Fragen offen. Seien es das Tankstellennetz, die Verfügbarkeit von Bio-Methan oder Themen wie Langlebigkeit und Wiederverkauf: Für verlässliche Aussagen darüber ist es noch zu früh. Mit Blick auf die eingangs erwähnten Versprechen kann man aus rein technischer Sicht aber festhalten: Mission erfüllt.
Technische Daten
MOTOR (420/460 PS)
Wassergekühlter Reihensechszylinder (Volvo G13C) mit Wastegate-Turbolader und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, eine obenliegende Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, elektronisch gesteuerte Common-Rail-Einspritzung; Euro 6c mit SCR, ungekühlter AGR und Partikelfilter
Bohrung/Hub 131/158 mm
Hubraum 12,8 l
Verdichtung 18,0 : 1
Nennleistung 309 kW/420 PS bei 1.400 bis 1.800/min; 338 kW/460 PS bei 1.700 bis 1.800/min
Maximales Drehmoment 2.100 Nm bei 1.000 bis 1.400/min; 2.300 Nm bei 1.050 bis 1.300/min
Trockengewicht ca. 1.116 kg (Grundmotor)
KRAFTÜBERTRAGUNG
Kupplung: automatisierte Einscheiben-Trockenkupplung, 430 mm Durchmesser
Getriebe: Volvo I-Shift AT2612F, automatisiertes Zwölfganggetriebe (Dreigang-Grundgetriebe mit Range- und Splitgruppe); Direktgangausführung
Hinterachse: einfach übersetzte Hinterachse (RSS1344) mit Differentialsperre, Übersetzung 2,64 : 1 (= 1.212/min bei 85 km/h und Bereifung 315/70 R 22,5)
FAHRGESTELL
Vorn gespreizter U-Profil-Leiterrahmen, 6,5 mm stark, 3.700 mm Radstand, Federung vorn/hinten: Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft, Einkreis-Servolenkung (Übersetzung 18,6 : 1), 450 mm Lenkraddurchmesser, 4,5 Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag, 205-kg-LNG-Tank links, 170-l-Diesel- und 64-l-AdBlue-Tank rechts, Bereifung vorn/hinten: 385/55 R 22,5 / 315/70 R 22,5; Leergewicht (ohne Fahrer) 8.115 kg, Testgewicht 39.615 kg
FAHRERHAUS
Globetrotter XL, Fernverkehrsfahrerhaus mit Hochdach, zwei Liegen und Staumodul an der Rückwand (150 Liter), Aufhängung: Schraubenfedern vorn, Luftfederung hinten, 33-Liter-Kühlbox, dimmbare Innenbeleuchtung, Klimaautomatik mit Sonnensensor, Zentralverriegelung mit Fernbedienung, Bi-Xenon-Scheinwerfer, LED-Tagfahrlicht und -Rückleuchten, statisches Abbiege- und dynamisches Kurvenlicht, Mediensystem mit 7-Zoll-Touchscreen
Außenbreite/-länge 2.495/2.225 mm
Vorderer Überstand 1.365 mm
Höhe Stufen 400/370/380 mm
Gesamthöhe Einstieg 1.540 mm
Frontscheibe/Rückwand 2.060 mm
Innenhöhe vor Sitz/auf Motortunnel 2.030/2.105 mm
Motortunnel (H x B) 90 x 1.040 mm
Liege unten (B x L) 740-815 x 2.000 mm
Liege oben (B x L) 700 x 1.900 mm

