Scania 540 S Highline

Experten-Test Scania 540 S: Ein komplett neuer Ansatz.

von | 1. Dezember 2020

Bei den neuen Getrieben der Serie G33CM setzt Scania noch einen „Spritspargang“ obendrauf. In Kombination mit dem stärksten Sechszylinder ergibt sich ein ganz neues Fahrgefühl.
Foto: LZ Media

Das Fahrgefühl im 540 S hat sich mit einem von Scania bislang ungekannten „Spritspargang“ und einer elektrohydraulischen Lenkung spürbar verändert.

Als Scania nach der abgesagten IAA im Herbst 2020 zur „virtuellen Automobilausstellung“ einlud, richtete sich die Aufmerksamkeit vor allem auf den jetzt bis zu 770 PS starken V8. Zwei weitere Neuheiten, die für einen Großteil der Fahrer und Unternehmer in der Praxis wesentlich bedeutsamer sein dürften, gerieten dabei ein wenig in den Hintergrund: Scania hat mit der Bezeichnung G33CM eine neue Getriebe-Generation auf den Markt gebracht und mit Blick auf die deutsche und schwedische Konkurrenz bei elektrisch unterstützten Lenksystemen nachgezogen.

Mit beiden Neuheiten ist der aktuelle Testwagen ausgestattet: ein Scania 540 S mit größtem lieferbaren Fahrerhaus S Highline und 540 PS. Dass Scania in naher Zukunft einen neuen 13-Liter- Motor auf den Markt bringen wird, ist kein Geheimnis mehr, aber einstweilen kommt dem 12,7 Liter großen Reihensechszylinders DC13 noch die Rolle des Stückzahlträgers zu. Die 540 PS des Testwagens markieren die Spitzenmotorisierung, die mit 2.700 Nm Drehmoment an der Schnittstelle zum V8 angesiedelt ist. Der Achtzylinder mobilisiert in der Einstiegsversion zwar „nur“ 530 PS, aber 100 Nm Drehmoment mehr.

Sind Kabine und Motor des 540 S auch alte Bekannte, geht mit dem neuen Getriebe ein weiterer, nicht zu unterschätzender Entwicklungsschritt einher: Der eigene Scania-Retarder hat von maximal 4.100 auf jetzt bis zu 4.700 Nm Bremsmoment zugelegt. Auskuppelbar (um Schleppverluste zu vermeiden) ist der Retarder nach wie vor, die Typenbezeichnung in der Bestellliste lautet nun R4700D statt R4100D. Dringend angeraten bleibt die zusätzliche Dauerbremse bei der Order sowieso: Die Motorbremse ist mit maximal 330 PS Verzögerungsleistung in der 13-Liter-Hubraumklasse nach wie vor bescheiden. Zum Vergleich: Vom MX13 im DAF bis zum D13 im Volvo sind herstellerübergreifend mehr als 500 Brems-PS die Regel. Bleibt abzuwarten, ob Scania bei der kommenden 13-Liter-Generation eine Schippe drauflegt.

Foto: Scania

Den Sechszylinder DC13 kombiniert Scania im Fernverkehr nun vorzugsweise mit den neuen G33CM-Getrieben.

Wer derzeit im Fernverkehr einen Scania mit DC13-Motor fährt, hat ziemlich sicher ein Opticruise-Getriebe der Baureihe GRS905 an Bord. Im Vergleich dazu weisen die G33CM-Schaltboxen eine deutlich größere Spreizung auf und bieten laut Scania mehrere Vorteile: rund 60 Kilogramm weniger Gewicht (vor allem dank Aluminiumgehäuse), kompaktere Abmessungen und bis zu 50 Prozent weniger innere Reibung. Ein weiteres Kennzeichen sind acht Rückwärtsgänge, wobei es im Achten mit bis zu 50 Sachen retour geht – an der Rampe jetzt eher nicht so gefragt, in manchen Baustellen dagegen schon.

Von der Bauart her handelt es sich beim G33CM um ein 12-Gang-Getriebe plus Crawler und aufgesetztem Overdrive, die grundsätzliche Taktik lautet wie folgt: Der Hauptfahrgang ist der direkt übersetzte 12. Gang, in den 0,78 zu Eins untersetzten Overdrive wird nur in passenden Teillast-Abschnitten gewechselt. Dabei bezieht sich „passend“ darauf, dass im Automatikmodus der GPS-angebundene Getrieberechner darüber entscheidet, ob sich die Hochschaltung verbrauchsmäßig rechnet. Denn natürlich attestiert auch Scania dem direkten Durchtrieb prinzipiell den besten Wirkungsgrad. In einem kleinen Kennfeld aber, begrenzt durch ein Drehzahlband von 700 bis 950 Umdrehungen bei maximal rund 25 Prozent abgerufener Motorleistung, machen nach Einschätzung der Schweden die niedrigeren Drehzahlen den zusätzlichen Zahnradeingriff mehr als wett. Entsprechend sind mit dem neuen Getriebe vor allem Ersparnisse auf Etappen mit nennenswertem Flachlandanteil zu erwarten und weniger bis gar keine auf Strecken, die einer Berg-und-Talbahn ähneln.

Größte Ersparnis auf leichten Strecken

Bei Test-üblichen 85 km/h ist auf der Autobahn also folgendes zu beobachten: Hügeliges und leicht ansteigendes Gelände nimmt der 540 S wie gewohnt mit 1.190 Umdrehungen im direkten Gang unter die Räder, in mehr oder weniger langen Flachstücken sackt die Nadel dagegen auf 930 Touren im „Spritspargang“. Zu spüren ist der Gangwechsel beim Opticruise-Getriebe kaum, zu hören im Anschluss umso mehr: Der Motor grollt bei der niedrigen Drehzahl doch um einiges lauter in die Kabine, als das im Scania sonst der Fall ist. Wobei es sich der Schwede leisten kann: Im Wettbewerbsumfeld liegt die Geräuschkulisse selbst im Drehzahlkeller noch günstig.

Der von Scania angekündigte Spritspareffekt lässt sich im Vergleich zu einem identischen 540er, der die Testrunde zwölf Monate zuvor mit dem 12+2-Gang-Getriebe GRS905R absolvierte, eins zu eins in der Praxis ablesen: Auf den schweren Streckenabschnitten errechnet sich eine Ersparnis von durchschnittlich 0,1 Liter, auf den leichten von immerhin 0,3 Liter. Einher damit geht ein etwas geringeres Tempo, was bei ähnlicher Schaltstrategie am Berg (und auch einem automatischen Angasen davor) im Wesentlichen eine Ursache hat: Wenn die Fahrt im Overdrive über leicht welliges Gelände führt, wird an kurzen Kuppen immer mal wieder der Unterschwinger bis runter auf 80 km/h ausgereizt. Bei knapp über 900 Touren wären die 85 km/h an solchen Stellen ohne Runterschalten ganz einfach nicht zu halten. Dagegen blieb auf der Fahrt im Vorgänger in denselben Passagen das Tempo gleichmäßig hoch. Damals wie heute lief die Testfahrt übrigens im Standardmodus ab, mit plus/minus 5 km/h als Über- und Unterschwinger in Gefällen beziehungsweise über Kuppen.

Foto: Scania

Für das Scania-Cockpit steht demnächst ein Facelift mit digitalen Instrumenten und deutlich größerem Sekundärdisplay an.

Ein leichter Zusatzschwung von ein bis zwei km/h im Auslauf von Gefällen (bei den gewählten Einstellungen also kurzzeitig bis zu 92 km/h) ist im System fest hinterlegt und nicht variierbar – im Gegensatz zu vergleichbaren Einstellungen bei Mercedes oder Volvo. Die Steuerung von Tempomat und Bremstempomat ist mit dem neuen Getriebe identisch zu vorher, also unverändert vorbildlich: Die entsprechenden Lenkradtasten sind auch für Scania-Neueinsteiger schnell und intuitiv beherrschbar. Ebenso unbeeinflusst von den Neuerungen im Triebstrang zeigt sich der S Highline, Inneneinrichtung und Cockpit bleiben wie gehabt – vorerst also auch mit analogen Instrumenten, die man gefühlsmäßig nicht missen möchte.

Die von Scania genannten 60 Kilogramm Gewichtseinsparung mit dem neuen Getriebe ließen sich im Detail nicht überprüfen, kommen beim Leergewicht der Zugmaschine aber hin: Der 540 S steht vollgetankt mit 7.480 Kilogramm auf der Waage, beim 540er mit Getriebe GRS905R waren es 7.570. Bereinigt um einige Ausstattungsdetails, darunter die neue Lenkung und 315/70er statt seinerzeit 385/55er auf der Antriebsachse (minus 24 Kilogramm), geht die Rechnung unterm Strich ziemlich genau auf.

Eine neue Einstellmöglichkeit ist im Kombiinstrument geboten: Im Zusammenhang mit der neuen EAS-Lenkung (Electrically Assisted Steering) lässt sich über die Menüführung eine Erweiterung des kamerabasierten Spurwächters aktivieren. Wie bei Mercedes, MAN und Volvo ist damit auch im Scania eine aktive Spurrückführung möglich, wo vorher beim Abdriften nur ein Nagelbandrattern passiv gewarnt hat. Im Selbstversuch geschieht die Rückführung nicht allzu ruckartig, sondern sachte und unaufdringlich – man hat am Steuer nicht das Gefühl, gegen ein Gegenmoment ankämpfen zu müssen. Als Freifahrtschein für sonstige Aktivitäten ist das System freilich nicht gedacht: Ein Momentensensor wacht darüber, dass eine Hand am Lenkrad bleibt und schlägt gegebenenfalls Alarm.

Sehr exakte Lenkung

Bei der Einfahrt in typische Autobahnbahnbaustellen mit verengten Fahrstreifen und gelben Hilfslinien dauert es im Testwagen zwar immer mal wieder einen Moment, bis das System die Lage checkt und den Widerstand gegen das Überfahren der weißen Begrenzungslinien aufgibt, aber an dieser Stelle hat Scania inzwischen nachgebessert. Sehr exakt ist die Lenkung allemal, wobei sich die Lenkkräfte der gefahrenen Geschwindigkeit anpassen, angefangen von einem minimalen Kraftaufwand beim Rangieren. Laut Scania soll sich die Lenkung vom Gefühl und Kraftaufwand her auch an verschiedene Bereifungen anpassen, also bei Breit- oder Standardreifen auf der Vorderachse keinen Unterschied spüren lassen. Bei der bisher ersten Scania-Sattelzugmaschine mit EAS-Lenkung auf der Testrunde lassen wir diesen Punkt mangels Vergleich einfach mal so stehen.

Mit einem neuen System zur Tote-Winkel-Überwachung, aktiv schon ab 2 km/h, kann der Testwagen ebenfalls aufwarten. Beidseitig sind in die Kotflügel Radarsensoren integriert, die kontinuierlich den Nahbereich abtasten, im Stadtverkehr ebenso wie auf der Autobahn. Auf Testfahrt erweist sich der Assistent vor allem beim Überholen als hilfreich: Sobald die orangene Warnleuchte in der rechten A-Säule erlischt, beträgt der Abstand zwischen Aufliegerheck und Hintermann zirka sieben Meter und man kann allmählich wieder einscheren. Aufpassen muss man allerdings, wenn der GPS-Tempomat just in diesem Augenblick in eine Rollphase wechselt und Tempo liegenlässt – am eigenen Mitdenken führt halt immer noch kein Weg vorbei. Ganz grundsätzlich gilt das auch im Überlandverkehr: Ein Landstraßen-PPC wie im Actros ist im Scania auch mit der neuen Getriebe-Hard- und Software (noch) kein Thema.

Messwerte und Daten
Dieselverbrauch l/100 km
Gesamte Strecke: 33,4
Schwere Teilstücke: 38,1
Leichte Teilstücke: 28,7
Volllast (5 % Steigung): 93,8
Teillast (bei 85 km/h): k.A. (Baustellen)
Geschwindigkeit km/h
Gesamte Strecke: 84,5
Schwere Teilstücke: 83,8
Leichte Teilstücke: 85,2
Volllast (5 % Steigung): 74,4
AdBlue (l/100 km): 2,77 (8,29 % vom Diesel)
steigungsbedingte Schaltungen: 9 (ohne Schaltungen vom Overdrive zurück in den 12. Gang (insgesamt 26 mal))
Innengeräusch Ebene (85 km/h): 62,5 dB(A)
Innengeräusch max. (Steigung): 65,2 dB(A)
Fahrgestell/Gewicht
Bereifung vorn/hinten: 315/70 R 22,5
Reserverad j/n: n
Tankgröße Diesel: 400 Liter
Tankgroße AdBlue: 47 Liter
Federung: Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft
Rahmenstärke: 7,0 mm
Radstand: 3.750 mm
Retarder j/n: j
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: 7.555 kg
Testgewicht: 39.435 kg
Motor
Reihensechszylinder (Scania DC13 166), Turbolader mit fester Geometrie und Ladeluftkühlung, Einzelzylinderköpfe, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung
Abgasnorm: Euro 6d
SCR j/n: j
AGR j/n: n
Bohrung: 130 mm
Hub: 160 mm
Hubraum: 12.742 ccm
Leistung: 397 kW (540 PS) bei 1.800/min
Max. Drehmoment: 2.700 Nm bei 1.000 bis 1.300/min
Motorbremse: 242 kW bei 2.400/min
Getriebe/Achse
Scania G33CM; automatisiertes Getriebe, 12+2 Gänge (Crawler und Overdrive)
Übersetzung HA: 2,59
U/min bei 85 km/h (größter Gang): 930
Fahrerhaus
Scania S Highline, Vier-Punkt-Luftfederung
Außenbreite/-länge: 2.470/2.280 mm
Einstiegsstufen: 4
Einstiegshöhe: 1.600 mm
Scheibe/Rückwand: 2.080 mm
Innenhöhe vor Sitz: 2.030 mm
Innenhöhe Mitte: 2.090 mm
Höhe Motortunnel: 0
Liege unten (B x L): 810-960 x 2.190 mm
Liege oben (B x L):  –

 

 

NEWSLETTER

SOCIALS

BELIEBTE NEWS

BELIEBTE TESTS