Scania 650 S Highline

Experten-Test Scania 650 S: Scanias neuer Vorzeige-V8

von | 1. August 2019

In der Rangfolge der Scania V8 liegt die 650-PS-Version hinter dem 730er auf Platz Zwei. Mit Blick auf Fahrleistungen und Verbrauch ist die Frage nach der „Nummer Eins“ aber ganz und gar nicht so klar.
Foto: Scania

Mit dem 650 S bringt Scania hohe Fahrleistungen, günstigen Verbrauch und maximalen Komfort unter einen Hut. Abstrich gibt es naturgemäß bei der Nutzlast.

Was wurde nicht alles über die „neue S-Klasse“ geschrieben, als Scania im Sommer 2016 die Fahrerhäuser der S-Baureihe präsentierte. Dass das vornehmlich im Raum Stuttgart nicht besonders gut ankam, ist kein großes Geheimnis. Inzwischen hat man sich geeinigt: Als Zugeständnis an Daimler steht beim Scania S der Buchstabe nun hinter der Motorleistung und nicht mehr – wie weiterhin bei den Scania P, G und R – davor. Für den aktuellen Testwagen kam die im Dezember 2019 eingeführte Neuregelung allerdings zu spät: Wo das Kürzel „S 650“ an der Front prangt, muss es fortan „650 S“ heißen.

So oder so verbirgt sich hinter dem Kühlergrill ein 650 PS starker V8. Im Gegensatz zum 730 PS starken Spitzentriebwerk, das mit variablem VTG-Lader und Abgasrückführung arbeitet, folgt der 650er aber mittlerweile der Devise SCR-only (wie alle anderen Leistungsstufen des V8 sowie die 9- und 13-Liter-Motoren von Scania ebenfalls). Der Hintergrund, einfach gesagt: mehr AdBlue für die Abgasreinigung, dafür eine einfachere Technik (unter anderem mit fester Turbolader-Geometrie) und ein geringerer Dieselverbrauch. Um es vorwegzunehmen: Die Rechnung geht auf.

Foto: Scania

Das V8-Innendekor mit roten Zierleisten und Nähten setzt sich bei der Einfassung der Instrumente fort. Jene präsentieren sich weiterhin klassisch mit zwei großen Rundinstrumenten.

Wie schon ein vor rund anderthalb Jahren getesteter Scania R mit 520 PS starkem Einstiegs-V8 überrascht auch der 650er mit einem geringen Verbrauch: Mit durchschnittlich 34,5 Liter Diesel würde der 650 S selbst in der Klasse um 480 PS noch eine gute Figur abgeben. Zusätzlich liegt zwar der AdBlue-Verbrauch mit 2,6 Litern etwa einen bis eineinhalb Liter über dem von SCR-Motoren mit gekühlter Abgasrückführung, aber für den gesparten Diesel ist das ein geringer Preis. Wobei es eine Überlegung wert sein sollte, dann auch in größere AdBlue-Tanks zu investieren. Statt des 47-Liter-Tanks rechts am Testwagen sind dort bis zu 105 Liter möglich; alternativ gibt es bis zu 124 Liter große Tanks innen liegend im Rahmen.

Mit besagter 47-Liter-Variante, 400-Liter-Dieseltank und Fahrer wiegt der 650 S aber bereits fast acht Tonnen. Angesichts der Tatsache, dass allein der V8 auf ein Trockengewicht von gut 1,4 Tonnen kommt, fünf bis sechs Zentner mehr als gängige 13-Liter-Reihensechser, kann der 650er nun mal nicht als Fliegengewicht auf der Waage stehen. In Kombination mit dem gewaltigen Triebwerk empfiehlt sich generell eine Acht-Tonnen-Vorderachse, so auch beim Testwagen eingebaut. Hinzu kommt das standesgemäße S Highline-Fahrerhaus mit vier Einstiegsstufen, ebenem Kabinenboden, Hochdach und somit durchgängig über zwei Meter Stehhöhe. Darüber hinaus leisten sich V8-Kunden gern etwas mehr, zum Beispiel Lederbezüge, eine zusätzliche Schrankwand, den drehbaren Beifahrersitz mit Flachbildfernseher vis-à-vis und die vollintegrierte Standklimaanlage. Ein nettes Gimmick sind die Welcome Lights mit strahlenden V8-Logos in den Türen.

Mit Retarder souverän unterwegs

Echte Kritikpunkte gibt es wenige: An die Frontscheibe sollte Scania endlich ein Sonnenrollo statt Klappen anbauen, an der kahlen Rückwand überm unteren Bett wäre eine große Netztasche nicht schlecht und es dürften sich gern beide Seitenspoiler vorklappen lassen. Das Fahrverhalten ist dagegen einwandfrei, mit den 3.750 Millimeter Radstand läuft der 650 S wie auf Schienen. Gemessen am früheren Maß von 3,70 Metern kamen die 50 zusätzlichen Millimeter bei der 2016er-Generation hinzu, resultierend aus einer nach vorn gerückten Vorderachse. Im Gegenzug wurde die Fahrerposition im Mittel um 65 Millimeter nach vorn und 20 Millimeter nach außen versetzt, was die Rundumsicht noch mal einen Tick verbessert hat. Zudem bleibt es bei Marschdrehzahl wie auch am Berg sehr leise, der Geräuschpegel im S-Haus liegt insgesamt am unteren Limit.

Seit Jahren bewährt ist die Abstimmung der Federung, wie sie auch der Testwagen aufweist: luftgefederte Kabine, Zweiblattfedern vorn und vier Luftfederbälge hinten. Serie ist aber nach wie vor die etwas schwerere und nicht ganz so komfortable Zweibalg-Luftfederung an der Hinterachse. Zur lediglich 404 PS starken Motorbremse erscheint der hauseigene Scania Retarder als absolutes Muss und ist folgerichtig auch im 650 S verbaut.

In der vor einigen Jahren eingeführten Version R4100D ist der Retarder zudem auskuppelbar, was Schleppverluste vermeidet. Neben den Bärenkräften des V8 bildet letztlich auch der Retarder die Voraussetzung dafür, dass es sich im 650 S so komfortabel durch die Lande ziehen lässt wie in kaum einem anderen Lkw. Die Geschwindigkeit mit den gewünschten Über- und Unterschwingern einregeln, und den Rest kann man entspannt dem vorausschauenden Tempomaten, der Getriebe- und Retardersteuerung überlassen.

Foto: Scania

Den Beifahrersitz gibt es wahlweise drehbar, unterm Bett (fest oder ausziehbar) sind zwei große Schubladen mit oder ohne Kühlschrank Standard.

Wie gewöhnungsbedürftig es aber sein kann, der Elektronik zu vertrauen, zeigt sich unfreiwillig in einem kurzen Stau: Das Stop-and-Go könnte eigentlich der Abstandsregler (AiCC) übernehmen, der in Verbindung mit der elektronischen Parkbremse nun bis zum Stillstand bremst. Doch beim Aufleuchten der Pkw-Bremslichter seelenruhig das System arbeiten zu lassen, will auch bei mehreren Anläufen nicht gelingen: Immer wieder zuckt der Fuß instinktiv zum Bremspedal, um das System schließlich einigermaßen entnervt auszuschalten. Eine Kopfsache, ganz klar.

Indes scheint es der Kraftstoffbilanz nicht sonderlich zu schaden, dass der 650 S mit einer zusätzlichen Zahnradpaarung über die Autobahn schnürt: Das Opticruise-Getriebe ist in Overdrive-Ausführung eingebaut. Mit 2,92er-Achse ergibt das rund 1.070 Umdrehungen bei testüblichen 85 km/h. Angesichts von 3.300 Nm Drehmoment bis runter auf 950 Touren bleiben damit immer noch genug Drehzahlreserven. Dank der geringen Tempoverluste am Berg hieven die bis zu 90 km/h schnellen Talfahrten den Durchschnittswert am Ende auf 85,8 km/h – also sogar 0,8 km/h mehr als in der Ebene vorgegeben. Als Unterschwinger für Kuppen waren dazu moderate minus 5 km/h beziehungsweise minus sechs Prozent eingestellt (im Gegensatz zu den Wettbewerbern setzt Scania auf eine prozentuale Abstufung statt klarer km/h-Schritte, was zumindest anfangs ziemlich gewöhnungsbedürftig ist). Situationsabhängig lässt sich die Voreinstellung aber jederzeit übersteuern.

In dieser Leistungklasses sehr guter Verbrauch

Einen Kick-down gibt es außerdem, egal, welches Fahrprogramm gerade gewählt ist (standardmäßig ist das Trio aus Standard, Economy und Power an Bord). Auch ein Angasen vor Steigungen ist in der Programmierung hinterlegt, was die Elektronik beim 650-PS-V8 aber so gut wie nie für nötig hält. Nach Gusto einstellbare „Senkenschwungspitzen“ wie im Actros oder FH sieht Scania zwar nicht vor, je nach Topografie lässt der Bremstempomat aber auch selbstständig für einige Sekunden bis auf 92 km/h rollen.

Foto: Scania

Wer hat, der hat: Mit V8-Symbolen geizt Scania bei den Flaggschiffen mit 16,4-Liter-Motor weder innen noch außen.

34,5 Liter Diesel und 85,8 km/h sind auf der schweren Strecke top und für den 730-PS-V8 gehen damit ziemlich die Argumente aus. Die leicht stärkere Motorbremse (435 statt 404 PS) fällt eher in die Rubrik Kosmetik, das Tempo dürfte sich kaum steigern lassen und der Verbrauch dürfte in Richtung 36 Liter gehen (ein Anfang 2017 getesteter 730er kaum auf 36,7 Liter, war aber noch nicht mit den jüngsten Feinarbeiten wie etwa geregelten Motoröl- und Kühlmittelpumpen ausgestattet). Kurzum: Mit nur 40 Tonnen im normalen Fernverkehr ist der 650 S schon so ziemlich das Maß der Dinge.

Messwerte und Daten
Dieselverbrauch l/100 km
Gesamte Strecke: 34,5
Schwere Teilstücke: 39,2
Leichte Teilstücke: 29,7
Volllast (5 % Steigung): 96,9
Teillast (bei 85 km/h): k.A. (Stau)
Geschwindigkeit km/h
Gesamte Strecke: 85,8
Schwere Teilstücke: 85,3
Leichte Teilstücke: 86,3
Volllast (5 % Steigung): 82,8
AdBlue (l/100 km): 2,61 (7,56 % vom Diesel)
steigungsbedingte Schaltungen: 12
Innengeräusch Ebene (85 km/h): 62,0 dB(A)
Innengeräusch max. (Steigung): 65,0 dB(A)
Fahrgestell/Gewicht
Bereifung vorn/hinten: 315/70 R 22,5
Reserverad j/n: n
Tankgröße Diesel: 400 Liter
Tankgroße AdBlue: 47 Liter
Federung: Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft
Rahmenstärke: 7,0 mm
Radstand: 3.750 mm
Retarder j/n: j
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: 7.985 kg
Testgewicht: 39.815 kg
Motor
V8-Zylinder (Scania DC16 118) mit Twin-Scroll-Turbolader (feste Geometrie) und Ladeluftkühlung, Einzelzylinderköpfe, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung
Abgasnorm: Euro 6d
SCR j/n: j
AGR j/n: n
Bohrung: 130 mm
Hub: 154 mm
Hubraum: 16.353 ccm
Leistung: 478 kW (650 PS) bei 1.900/min
Max. Drehmoment: 3.300 Nm bei 950 bis 1.350/min
Motorbremse: 297 kW bei 2.400/min
Getriebe/Achse
Scania GRS0 925 R; automatisiertes Getriebe, 12+2 Gänge, Overdrive-Ausführung
Übersetzung HA: 2,92
U/min bei 85 km/h (größter Gang): 1.073
Fahrerhaus
Scania S Highline, Vier-Punkt-Luftfederung
Außenbreite/-länge: 2.470/2.280 mm
Einstiegsstufen: 4
Einstiegshöhe: 1.600 mm
Scheibe/Rückwand: 2.080 mm
Innenhöhe vor Sitz: 2.030 mm
Innenhöhe Mitte: 2.090 mm
Höhe Motortunnel: 0
Liege unten (B x L): 810-960 x 2.190 mm
Liege oben (B x L):

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