Scania R 520 Topline

Experten Test Scania R 520: Einstiegs-Modell

von | 1. Juli 2014

Bei 520 PS beginnt im Scania-Programm das Reich des V8. Die Einstiegsmotorisierung kombiniert pure Fahrfreude mit akzeptablem Verbrauch.
Foto: Scania

Zum Mythos Scania V8 gehört das größtmögliche Fahrerhaus – in diesem Fall das R Topline – fast selbstverständlich dazu.

Mit Einführung von Euro 6 zählen V-Motoren in schweren Lkw zur aussterbenden Art. MAN hat sich vom V8 verabschiedet, Mercedes ebenso und von den V6 gleich mit. Nur ein Hersteller hält dem V-Konzept weiterhin die Treue: Scania. Das ist im Grunde nicht verwunderlich, denn kaum etwas ist so eng mit dem Mythos des „King of the Road“ verknüpft wie der V8 aus Södertälje – und das seit 1969.

Die aktuelle Generation bringt es auf 16,4 Liter Hubraum und steht mit 520, 580 und 730 PS zur Wahl. Mythos und Tradition schön und gut, aber es gibt für die Schweden auch handfeste wirtschaftliche Gründe, am V8 nicht zu rütteln: Immerhin 20 Prozent aller verkauften Scania werden mit dem Achtzylinder ausgeliefert. Die stärksten Märkte in Europa mit noch höheren Verkaufsanteilen sind das bergige Norwegen mit erlaubten 60 Tonnen und Italien mit den Alpen vor der Haustür. In Deutschland ist die Einstiegsmotorisierung mit 520 PS der meistverkaufte V8, was im ersten Halbjahr 2014 immerhin rund 300 Fahrzeuge bedeutete.

Foto: Scania

Der 16,4-Liter-V8 arbeitet in der aktuellen Version mit VGT-Turbolader (variable Geometrie) und steht mit 520 PS, 580 und 730 PS zur Wahl.

Auch das Testfahrzeug steht für die meistverkaufte V8-Variante: ein R520 mit Topline-Fahrerhaus und Streamline-Ausstattung, die für einen aerodynamischen Feinschliff steht. Gegenüber dem stärksten Scania-Reihensechser sind beim 520er 30 PS und 150 Nm Drehmoment mehr geboten – nicht zu reden von Soundkulisse und Imagefaktor. Dass ein R520 rund 6.800 Euro teurer in der Liste steht als ein R490, muss mit Blick auf den höheren Restwert gar kein allzu großes Loch in die Tasche reißen. Nichts zu deuteln gibt es aber beim Gewicht: Mit V8 gerät der R mindestens 330 Kilogramm schwerer als mit dem 490 PS starken 12,7-Liter-Motor. Dazu trägt auch die größere „Chemiefabrik“ zur Abgasreinigung bei, die zudem den Bauraum weiter einschränkt. Entsprechend sind mit Reihenmotor bis zu 1.400 Liter Tankvolumen möglich (zweimal 700 Liter), mit V8 ist bei 1.200 Liter Schluss (700 plus 500 Liter)

Neu sortiert hat Scania generell das Angebot der AdBlue-Tanks, die seitlich oder innen am linken Rahmenträger montiert werden und bis zu 100 Liter fassen. Während im Scania-Baukasten ansonsten fast grenzenlose Kombinationsfreiheit herrscht, gibt es den V8 nur unter den hoch montierten R-Kabinen. Bei Baufahrzeugen mag das eine gewisse Einschränkung bedeuten, im Fernverkehr kaum: Wer sollte für die Langstrecke einen V8 mit einem Mittelklasse-Fahrerhaus wie dem Scania G kaufen wollen? Nein, etwas Prestige darf es schon sein: Highline mindestens, die Regel lautet eher Topline.

Testfahrzeug mit Topausstattung

Das Testfahrzeug setzt erwartungsgemäß noch eine Topausstattung drauf: Leder für Sitzbezüge, Lenkrad, Türverkleidungen und die Matte auf dem Motortunnel, langes Armaturenbrett in Luxusausführung (inklusive dunkler Chromleisten, vier Becherhaltern, Klapptisch rechts, großes Kombiinstrument mit 6,5-Zoll-Farbdisplay und Premium-Radio mit Fünf-Zoll-Bildschirm), Kühlschrank, Klimaautomatik und zwei Liegen. Die untere Liege lässt sich bis auf knapp 90 Zentimeter Breite ausziehen, dafür müssen aber die Sitze vor – nicht jedermanns Sache. Unten schläft man auf Taschenfedern, oben auf einer Sprungfedermatratze.

Detail am Rande: Der eingebaute Stoneridge zählt die Lenkzeit von viereinhalb Stunden als Countdown runter, keine schlechte Idee. Nützlich ist auch der Warnton, der beim Abziehen des Schlüssels bei offener Dachluke ertönt. Dass die Zentralverriegelung mit Fernbedienung und Alarmfunktion auch die Frontklappe mit einschließt, ist ebenfalls kein Fehler. Die Topausstattung hat freilich nicht nur ihren Preis, sondern auch ihr Gewicht: Selbst mit nur 400 Liter Diesel und 50 Liter AdBlue bleibt das Testfahrzeug nur knapp unter 7,8 Tonnen.

Foto: Scania

Ein Hauch von Luxus auch in den Instrumenten: Und täglich grüßt das V8-Logo.

Das Fahrverhalten im ausgereiften, seit der Vorstellung im Jahr 2004 mehrfach überarbeiteten Scania R ist tadellos, wenngleich das Topline-Fahrerhaus einen Tick mehr Seitenneigung aufweist als der niedrigere R Highline oder die tiefer montierten G-Fahrerhäuser. Zum gut abgestimmten, spurtreuen Fahrwerk mit Zwei-Blatt-Federn vorn und Vier-Balg-Luftfederung hinten addiert sich eine sehr direkte Lenkung. Einzig die Spiegel flattern ein wenig. Etwas überraschend ist das Overdrive-Getriebe, aber das klärt sich auf Nachfrage: Das Fahrzeug war als 580er konfiguriert, wurde für die Testfahrten in Deutschland aber zum R520 gedrosselt – wie erwähnt der meistverkaufte V8 hierzulande.

Unter diesen Vorzeichen ist der Verbrauch mit 36,3 Litern auf der mit vielen langen Steigungen gespickten Teststrecke sehr ordentlich. Der bisher beste Euro-6-Lastzug in dieser Leistungsklasse, ein Actros 1851 mit 510 PS starkem 12,8-Liter-Reihensechser, kam auf 35,3 Liter. Der V8-Zuschlag hält sich also in Grenzen, zumal es mit dem beim R520 möglichen Direktganggetriebe schätzungsweise zwei Prozent sparsamer ginge.

Mit Opticruise ist auch ein Freilauf vorhanden

Das Testfahrzeug verfügte auch noch nicht über den neuen, auskuppelbaren Scania-Retarder, der in der Ebene und bergauf nicht mehr „mitgeschleppt“ werden muss. Nach Einschätzung der Schweden spart das im Mittel ein halbes Prozent Diesel. Eine weitere Spritsparmaßnahme in Euro-6-Zeiten: Eine lange Übersetzung mit Marschdrehzahlen unter 1.200 Umdrehungen auf Autobahnen und Landstraßen. Entsprechend liegen mit der 3,08 übersetzten Achse bei 85 km/h nur rund 1.130 Umdrehungen an. Auf der Landstraße muss das Overdrive-Getriebe kein Nachteil sein, denn der direkte Durchtrieb im elften Gang und rund 1.100 Umdrehungen bei Tempo 65 passen gut ins Konzept.

Hin und wieder sackt die Nadel aber auch auf Leerlaufdrehzahl: Zusammen mit Opticruise sind in Fernverkehrsfahrzeugen mittlerweile der vorausschauende Tempomat (Scania Active Prediction) und ein Freilauf (Eco-Roll) Serie. Letzterer orientiert sich an eben jener Vorausschau und leitet die Rollphasen im Leerlauf nur ein, wenn sie mindestens zehn Sekunden andauern können. Inzwischen nimmt der vorausschauende Tempomat auch Einfluss auf die Getriebesteuerung und passt die Schaltpunkte am Berg entsprechend an. Das funktioniert gut, aber stur halbgangweise. Ob es nicht sinnvoller ist, gleich einen ganzen Gang zu schalten, zieht die Elektronik (noch) nicht ins Kalkül.

Drei Schaltprogramme zur Wahl

Weiter wird die Schaltstrategie von den Fahrprogrammen „Standard“, „Economy“ und „Power“ beeinflusst. Die Power-Funktion sollte man generell nur selten nutzen, da hier der vorausschauende Tempomat deaktiviert ist. Eine Tempobegrenzung, wie sie bei Economy-Schaltprogrammen anderer Hersteller üblich ist, sieht Scania ab Werk nicht vor. In der Werkstatt lässt sich die Einstellung aber jederzeit ändern, typischerweise auf 85 km/h.

Vor allem für Großflotten bietet Scania inzwischen die Opticruise-Variante „Basic“ mit nur noch begrenzten Eingriffsmöglichkeiten an. Insbesondere ist manuelles Schalten nur bis 50 km/h möglich, danach übernimmt vollständig der Computer. Zumindest in Deutschland besteht aktuell aber kein großer Anlass zur Sorge. So wurden zum Beispiel im ersten Halbjahr 2014 von rund 1.800 typischen Scania-Flottenautos nur 51 mit der Basisvariante bestellt, also weniger als drei Prozent. Einstweilen bleibt bei Scania also noch der Fahrer der Chef im Ring.

Messwerte und Daten
Dieselverbrauch l/100 km
Gesamte Strecke: 36,3
Schwere Teilstücke: 40,8
Leichte Teilstücke: 31,8
Volllast (5 % Steigung): 98,9
Teillast (bei 85 km/h): 22,1
Geschwindigkeit km/h
Gesamte Strecke: 84,2
Schwere Teilstücke: 83,1
Leichte Teilstücke: 85,3
Volllast (5 % Steigung): 73,4
AdBlue (l/100 km): 1,50 (4,1 % vom Diesel)
steigungsbedingte Schaltungen: 15
Innengeräusch Ebene (85 km/h): 63,5 dB(A)
Innengeräusch max. (Steigung): 66,2 dB(A)
Fahrgestell/Gewicht
Bereifung vorn/hinten: 315/80 R 22,5 / 315/70 R 22,5
Reserverad j/n: n
Tankgröße Diesel: 400 Liter
Tankgroße AdBlue: 48 Liter
Federung: Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft
Rahmenstärke: 7,0 mm
Radstand: 3.700 mm
Retarder j/n: j
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: 7.787 kg
Testgewicht: 39.800 kg
Motor
V8-Zylinder (Scania DC16 102) mit VGT-Turbolader (variable Geometrie) und Ladeluftkühlung, Einzelzylinderköpfe, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung
Abgasnorm: Euro 6
SCR j/n: j
AGR j/n: j
Bohrung: 130 mm
Hub: 154 mm
Hubraum: 16.353 ccm
Leistung: 382 kW (519 PS) bei 1.900/min
Max. Drehmoment: 2.700 Nm bei 1.000 bis 1.300/min
Motorbremse: 320 kW bei 2.400/min
Getriebe/Achse
Scania GRS0 905 R; automatisiertes Getriebe, 12+2 Gänge, Overdrive-Ausführung
Übersetzung HA: 3,08
U/min bei 85 km/h (größter Gang): 1.130
Fahrerhaus
Scania R Topline, Vier-Punkt-Luftfederung
Außenbreite/-länge: 2.470/2.260 mm
Einstiegsstufen: 3
Einstiegshöhe: 1.450 mm
Scheibe/Rückwand: 2.065 mm
Innenhöhe vor Sitz: 2.260 mm
Innenhöhe Mitte: 2.100 mm
Höhe Motortunnel: 155 mm
Liege unten (B x L): 700-850 x 2.250 mm
Liege oben (B x L): 700 x 1.900 mm

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