Experten Test Scania R 520: Einstiegs-Modell
Mit Einführung von Euro 6 zählen V-Motoren in schweren Lkw zur aussterbenden Art. MAN hat sich vom V8 verabschiedet, Mercedes ebenso und von den V6 gleich mit. Nur ein Hersteller hält dem V-Konzept weiterhin die Treue: Scania. Das ist im Grunde nicht verwunderlich, denn kaum etwas ist so eng mit dem Mythos des „King of the Road“ verknüpft wie der V8 aus Södertälje – und das seit 1969.
Die aktuelle Generation bringt es auf 16,4 Liter Hubraum und steht mit 520, 580 und 730 PS zur Wahl. Mythos und Tradition schön und gut, aber es gibt für die Schweden auch handfeste wirtschaftliche Gründe, am V8 nicht zu rütteln: Immerhin 20 Prozent aller verkauften Scania werden mit dem Achtzylinder ausgeliefert. Die stärksten Märkte in Europa mit noch höheren Verkaufsanteilen sind das bergige Norwegen mit erlaubten 60 Tonnen und Italien mit den Alpen vor der Haustür. In Deutschland ist die Einstiegsmotorisierung mit 520 PS der meistverkaufte V8, was im ersten Halbjahr 2014 immerhin rund 300 Fahrzeuge bedeutete.
Auch das Testfahrzeug steht für die meistverkaufte V8-Variante: ein R520 mit Topline-Fahrerhaus und Streamline-Ausstattung, die für einen aerodynamischen Feinschliff steht. Gegenüber dem stärksten Scania-Reihensechser sind beim 520er 30 PS und 150 Nm Drehmoment mehr geboten – nicht zu reden von Soundkulisse und Imagefaktor. Dass ein R520 rund 6.800 Euro teurer in der Liste steht als ein R490, muss mit Blick auf den höheren Restwert gar kein allzu großes Loch in die Tasche reißen. Nichts zu deuteln gibt es aber beim Gewicht: Mit V8 gerät der R mindestens 330 Kilogramm schwerer als mit dem 490 PS starken 12,7-Liter-Motor. Dazu trägt auch die größere „Chemiefabrik“ zur Abgasreinigung bei, die zudem den Bauraum weiter einschränkt. Entsprechend sind mit Reihenmotor bis zu 1.400 Liter Tankvolumen möglich (zweimal 700 Liter), mit V8 ist bei 1.200 Liter Schluss (700 plus 500 Liter)
Neu sortiert hat Scania generell das Angebot der AdBlue-Tanks, die seitlich oder innen am linken Rahmenträger montiert werden und bis zu 100 Liter fassen. Während im Scania-Baukasten ansonsten fast grenzenlose Kombinationsfreiheit herrscht, gibt es den V8 nur unter den hoch montierten R-Kabinen. Bei Baufahrzeugen mag das eine gewisse Einschränkung bedeuten, im Fernverkehr kaum: Wer sollte für die Langstrecke einen V8 mit einem Mittelklasse-Fahrerhaus wie dem Scania G kaufen wollen? Nein, etwas Prestige darf es schon sein: Highline mindestens, die Regel lautet eher Topline.
Das Testfahrzeug setzt erwartungsgemäß noch eine Topausstattung drauf: Leder für Sitzbezüge, Lenkrad, Türverkleidungen und die Matte auf dem Motortunnel, langes Armaturenbrett in Luxusausführung (inklusive dunkler Chromleisten, vier Becherhaltern, Klapptisch rechts, großes Kombiinstrument mit 6,5-Zoll-Farbdisplay und Premium-Radio mit Fünf-Zoll-Bildschirm), Kühlschrank, Klimaautomatik und zwei Liegen. Die untere Liege lässt sich bis auf knapp 90 Zentimeter Breite ausziehen, dafür müssen aber die Sitze vor – nicht jedermanns Sache. Unten schläft man auf Taschenfedern, oben auf einer Sprungfedermatratze.
Detail am Rande: Der eingebaute Stoneridge zählt die Lenkzeit von viereinhalb Stunden als Countdown runter, keine schlechte Idee. Nützlich ist auch der Warnton, der beim Abziehen des Schlüssels bei offener Dachluke ertönt. Dass die Zentralverriegelung mit Fernbedienung und Alarmfunktion auch die Frontklappe mit einschließt, ist ebenfalls kein Fehler. Die Topausstattung hat freilich nicht nur ihren Preis, sondern auch ihr Gewicht: Selbst mit nur 400 Liter Diesel und 50 Liter AdBlue bleibt das Testfahrzeug nur knapp unter 7,8 Tonnen.
Das Fahrverhalten im ausgereiften, seit der Vorstellung im Jahr 2004 mehrfach überarbeiteten Scania R ist tadellos, wenngleich das Topline-Fahrerhaus einen Tick mehr Seitenneigung aufweist als der niedrigere R Highline oder die tiefer montierten G-Fahrerhäuser. Zum gut abgestimmten, spurtreuen Fahrwerk mit Zwei-Blatt-Federn vorn und Vier-Balg-Luftfederung hinten addiert sich eine sehr direkte Lenkung. Einzig die Spiegel flattern ein wenig. Etwas überraschend ist das Overdrive-Getriebe, aber das klärt sich auf Nachfrage: Das Fahrzeug war als 580er konfiguriert, wurde für die Testfahrten in Deutschland aber zum R520 gedrosselt – wie erwähnt der meistverkaufte V8 hierzulande.
Unter diesen Vorzeichen ist der Verbrauch mit 36,3 Litern auf der mit vielen langen Steigungen gespickten Teststrecke sehr ordentlich. Der bisher beste Euro-6-Lastzug in dieser Leistungsklasse, ein Actros 1851 mit 510 PS starkem 12,8-Liter-Reihensechser, kam auf 35,3 Liter. Der V8-Zuschlag hält sich also in Grenzen, zumal es mit dem beim R520 möglichen Direktganggetriebe schätzungsweise zwei Prozent sparsamer ginge.
Das Testfahrzeug verfügte auch noch nicht über den neuen, auskuppelbaren Scania-Retarder, der in der Ebene und bergauf nicht mehr „mitgeschleppt“ werden muss. Nach Einschätzung der Schweden spart das im Mittel ein halbes Prozent Diesel. Eine weitere Spritsparmaßnahme in Euro-6-Zeiten: Eine lange Übersetzung mit Marschdrehzahlen unter 1.200 Umdrehungen auf Autobahnen und Landstraßen. Entsprechend liegen mit der 3,08 übersetzten Achse bei 85 km/h nur rund 1.130 Umdrehungen an. Auf der Landstraße muss das Overdrive-Getriebe kein Nachteil sein, denn der direkte Durchtrieb im elften Gang und rund 1.100 Umdrehungen bei Tempo 65 passen gut ins Konzept.
Hin und wieder sackt die Nadel aber auch auf Leerlaufdrehzahl: Zusammen mit Opticruise sind in Fernverkehrsfahrzeugen mittlerweile der vorausschauende Tempomat (Scania Active Prediction) und ein Freilauf (Eco-Roll) Serie. Letzterer orientiert sich an eben jener Vorausschau und leitet die Rollphasen im Leerlauf nur ein, wenn sie mindestens zehn Sekunden andauern können. Inzwischen nimmt der vorausschauende Tempomat auch Einfluss auf die Getriebesteuerung und passt die Schaltpunkte am Berg entsprechend an. Das funktioniert gut, aber stur halbgangweise. Ob es nicht sinnvoller ist, gleich einen ganzen Gang zu schalten, zieht die Elektronik (noch) nicht ins Kalkül.
Weiter wird die Schaltstrategie von den Fahrprogrammen „Standard“, „Economy“ und „Power“ beeinflusst. Die Power-Funktion sollte man generell nur selten nutzen, da hier der vorausschauende Tempomat deaktiviert ist. Eine Tempobegrenzung, wie sie bei Economy-Schaltprogrammen anderer Hersteller üblich ist, sieht Scania ab Werk nicht vor. In der Werkstatt lässt sich die Einstellung aber jederzeit ändern, typischerweise auf 85 km/h.
Vor allem für Großflotten bietet Scania inzwischen die Opticruise-Variante „Basic“ mit nur noch begrenzten Eingriffsmöglichkeiten an. Insbesondere ist manuelles Schalten nur bis 50 km/h möglich, danach übernimmt vollständig der Computer. Zumindest in Deutschland besteht aktuell aber kein großer Anlass zur Sorge. So wurden zum Beispiel im ersten Halbjahr 2014 von rund 1.800 typischen Scania-Flottenautos nur 51 mit der Basisvariante bestellt, also weniger als drei Prozent. Einstweilen bleibt bei Scania also noch der Fahrer der Chef im Ring.
Messwerte und Daten | |
Dieselverbrauch | l/100 km |
Gesamte Strecke: | 36,3 |
Schwere Teilstücke: | 40,8 |
Leichte Teilstücke: | 31,8 |
Volllast (5 % Steigung): | 98,9 |
Teillast (bei 85 km/h): | 22,1 |
Geschwindigkeit | km/h |
Gesamte Strecke: | 84,2 |
Schwere Teilstücke: | 83,1 |
Leichte Teilstücke: | 85,3 |
Volllast (5 % Steigung): | 73,4 |
AdBlue (l/100 km): | 1,50 (4,1 % vom Diesel) |
steigungsbedingte Schaltungen: | 15 |
Innengeräusch Ebene (85 km/h): | 63,5 dB(A) |
Innengeräusch max. (Steigung): | 66,2 dB(A) |
Fahrgestell/Gewicht | |
Bereifung vorn/hinten: | 315/80 R 22,5 / 315/70 R 22,5 |
Reserverad j/n: | n |
Tankgröße Diesel: | 400 Liter |
Tankgroße AdBlue: | 48 Liter |
Federung: | Zwei-Blatt-Parabel/Vier-Balg-Luft |
Rahmenstärke: | 7,0 mm |
Radstand: | 3.700 mm |
Retarder j/n: | j |
Leergewicht vollgetankt, mit Fahrer: | 7.787 kg |
Testgewicht: | 39.800 kg |
Motor | |
V8-Zylinder (Scania DC16 102) mit VGT-Turbolader (variable Geometrie) und Ladeluftkühlung, Einzelzylinderköpfe, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung | |
Abgasnorm: | Euro 6 |
SCR j/n: | j |
AGR j/n: | j |
Bohrung: | 130 mm |
Hub: | 154 mm |
Hubraum: | 16.353 ccm |
Leistung: | 382 kW (519 PS) bei 1.900/min |
Max. Drehmoment: | 2.700 Nm bei 1.000 bis 1.300/min |
Motorbremse: | 320 kW bei 2.400/min |
Getriebe/Achse | |
Scania GRS0 905 R; automatisiertes Getriebe, 12+2 Gänge, Overdrive-Ausführung | |
Übersetzung HA: | 3,08 |
U/min bei 85 km/h (größter Gang): | 1.130 |
Fahrerhaus | |
Scania R Topline, Vier-Punkt-Luftfederung | |
Außenbreite/-länge: | 2.470/2.260 mm |
Einstiegsstufen: | 3 |
Einstiegshöhe: | 1.450 mm |
Scheibe/Rückwand: | 2.065 mm |
Innenhöhe vor Sitz: | 2.260 mm |
Innenhöhe Mitte: | 2.100 mm |
Höhe Motortunnel: | 155 mm |
Liege unten (B x L): | 700-850 x 2.250 mm |
Liege oben (B x L): | 700 x 1.900 mm |