Volvo FH LNG Globetrotter XL

Experten-Test Volvo FH LNG: Nordische Kombination

von | 1. August 2021

Dank Mautbefreiung bis (mindestens) Ende 2023 bleiben LNG-Lkw im Trend. Auch Volvo mischt mit und setzt dabei auf eine komplexe Selbstzünder-Technik mit einer Kombination aus Methan, Diesel und AdBlue
Foto: Volvo

Gasmotor und eine Premiere: Der erste Volvo FH der facegelifteten 2021er Generation im Test.

Es gibt viele Wege, den Transport CO2-neutral zu gestalten, und Volvo beschreitet so einige davon. Die Zukunftsthemen in Göteborg lauten eben nicht nur Batterie und Brennstoffzelle, sondern auch alternative Kraftstoffe wie E-Fuels, HVO, Bio-Diesel und Biogas. Kombinationen kommen ebenfalls in Betracht, wie der Reihensechszylinder Volvo G13C beweist: Der Gasmotor verfeuert wahlweise Erdgas oder Bio-Methan, arbeitet dabei aber mit etwas zusätzlichem Diesel als Selbstzünder.

Auf Basis des 12,8 Liter großen D13K bietet Volvo die Gasvariante in zwei Motorisierungen an: 420 PS und 2.100 Nm oder 460 PS und 2.300 Nm. Mit einem brandneuen FH LNG (also auch mit facegeliftetem Fahrerhaus) bot sich die Gelegenheit, beide Alternativen zu testen: am Vormittag als 460er, am Nachmittag als 420er. Ein unscheinbarer Aktenkoffer mit Volvo-interner Hard- und Software, eine Schnittstelle zum Fahrzeug sowie einige Gigabyte Datentransfer aus Richtung Göteborg machten es möglich.

Die Vorgaben zu Geschwindigkeit (85 km/h), Angasen vor Steigungen, Über- und Unterschwinger (+5 und -10 km/h) waren gleich, zudem herrschten bei stabiler und trockener Wetterlage identische Bedingungen. Das Resultat: Als 460er absolvierte der FH die Runde mit durchschnittlich 20,3 Kilogramm LNG und 83,2 km/h, als 420er mit 19,9 Kilogramm LNG und 81,9 km/h. Dass der 420er bei geringerem Tempo rund zwei Prozent LNG spart, ist somit Fakt, die absoluten Werte sind aber mit Vorsicht zu genießen: Die Verbrauchsangaben basieren auf den Daten des Bordcomputers und sind angesichts der komplexen Temperatur- und Druckproblematik beim LNG-Tanken praktisch nicht nachprüfbar. Legt man einen Energiegehalt von rund 1,33 Liter Diesel pro Kilogramm LNG zugrunde, machen die Zahlen einen eher optimistischen Eindruck: Selbst mit dem zusätzlichen Diesel für die Zündung errechnen sich Vergleichswerte von weniger als 30 Liter Diesel, was auf der schweren Strecke bislang noch keine konventionelle Zugmaschine geschafft hat.

Foto: LZ Media

Tankarmatur mit Füllstutzen und Druckanzeige; vorm Tanken wird zuerst die Erdungsklemme angeschlossen.

Der angesprochene „Zünd-Diesel“ wird, gemessen in Litern, in Höhe von rund 5,7 Prozent pro Kilogramm LNG fällig, in Bezug auf den Testverbrauch also knapp 1,2 Liter auf 100 Kilometer. Für AdBlue errechnen sich analog 6,5 Prozent, also rund 1,3 Liter. Der Diesel wird unmittelbar vor dem Gas eingespritzt, das AdBlue dient wie gehabt zur Abgasreinigung im SCR-Kat. Dem Argument, dass gegenüber den LNG-Modellen von lveco und Scania (mit Gas-Ottomotoren) drei Betriebsstoffe zu tanken sind, steht Volvo gelassen gegenüber: Der 65 Liter große AdBlue-Tank reicht für fast 5.000 Kilometer, und um etwas Diesel für die Standheizung kommt auch die Konkurrenz nicht herum (bislang zumindest, lveco arbeitet wohl an einer Gasheizung).

Der Dieseltank fasst bei den FH LNG 170 Liter und sitzt auf der Beifahrerseite. Auch AdBlue wird auf der Beifahrerseite getankt, wobei es zwei Alternativen gibt: einen 64-Liter-Tank am Rahmen oder eine etwas größere Version an der Kabinenrückwand. Den Einfüllstutzen gibt dann eine Klappe im Seitenspoiler frei. Der Kryotank für das tiefkalt verflüssigte Gas (bis minus 160 Grad) stammt von Zulieferer Westport, fasst 205 Kilogramm LNG und bringt leer rund 340 Kilogramm auf die Waage; befüllt und mit integrierter Hydraulikpumpe sind es über 630 Kilogramm. Mit der Pumpe wird das LNG dem Systemdruck angeglichen und im Verdampfer in CNG umgewandelt. Unter weiterer Anpassung von Temperatur und Druck gelangt das CNG über das integrierte Gasmodul (IGM) und das Gasaufbereitungsmodul (GCM) zum Motor.

Vorteil der Volvo-Lösung: Starke Motobremse auch beim Gasmotor

Als Fahrer bekommt man davon herzlich wenig mit, das Fahrgefühl ist absolut „dieselmäßig“. Tank und Technik haben freilich ihr Gewicht: Im Vergleich zu einem konventionellen FH mit 300 bis 400 Liter Diesel und somit ähnlicher Reichweite wie mit LNG beträgt das Mehrgewicht locker eine halbe Tonne. Davon abgesehen fährt der vollluftgefederte, nobel ausgestattete Testwagen ohnehin nicht als Leichtbau vor.

Mit der Vollluftfederung ist die Option „aktives Chassis“ kombiniert, mit der das Fahrgestell ab 60 km/h automatisch abgesenkt wird. Die (variierbare) Werkseinstellung sieht vorne 35 und hinten 10 Millimeter vor, was gleichermaßen die Aerodynamik und die Optik verbessert. Auch mit den luftgefederten Achsen stehen alle Kabinenlagerungen zur Wahl (Stahl, Luft), als ausgewogenste Variante empfiehlt sich die Mischung aus beidem: vorne Schrauben- und hinten Luftfedern, wie das am Testwagen der Fall ist.

Neben hohen Drehmomenten auf Diesel-Niveau bringt der Volvo G13C einen weiteren großen Vorteil mit sich: Die Motorbremse (Volvo Engine Brake, kurz VEB+) steht den Dieselaggregaten in nichts nach, im krassen Gegensatz zu den mageren Schleppmomenten der Gas-Ottomotoren. Um dieses Alleinstellungsmerkmal konsequent zu unterstreichen, hatte Volvo beim Testwagen auf einen Retarder verzichtet. Auf der Teststrecke hält die VEB+ tatsächlich in fast allen Gefällen das Tempo ohne Hilfe der Scheibenbremsen, woran auch der GPS-Tempomat seinen Anteil hat: Ist über die Streckenerkennung absehbar, dass die Bremsleistung für konstant 90 km/h nicht ganz bis zur Talsohle reicht, bremst die Elektronik eingangs des Gefälles schon weiter runter. Das klappt beeindruckend zielsicher, ein eigenes Eingreifen ist so gut wie nie nötig. Falls doch, lässt sich am fünfstufigen Motorbremshebel (mit der Belegung Automatik/Aus/Bremsstufen eins bis drei) mit einem Knopf auf der Hebelspitze direkt das Maximum abrufen – also Stufe drei und runterschalten in den kleinstmöglichen Gang

Foto: Volvo

Zu den Aufliegeranschlüssen geht es über robuste Metall-Klappstufen am Kryotank, der wiederum 205 kg LNG fasst.

Auch sonst werden im FH LNG alle Funktionen analog zum Diesel geboten, bei den wählbaren Fahrprogrammen mit I-Shift-Getriebe ebenso wie bei den Sicherheits- und Assistenzsystemen. Mit einer kleinen Einschränkung: Der motorseitige Nebenantrieb treibt schon die Pumpe für die LNG-Zufuhr an und ist für andere Aufgaben auf 350 Nm begrenzt.

Bei den digitalen Instrumenten des Anfang 2020 facegelifteten FH folgt auch Volvo dem Trend, die Wahl aus mehreren Ansichten von nostalgisch rund bis modern minimalistisch zu lassen. Die übrige Inneneinrichtung ist weitgehend vertraut, inklusive des I-Shift-Bedienhebels, der nun zwar schlanker ausfällt, seinen Platz aber weiterhin rechts am Fahrersitz hat. Ein neuer Software-Bestandteil ist „Extended I-Roll“, das auf weitgehend ebenen Streckenabschnitten einen stetigen Wechsel aus Rollenlassen und Angasen verordnet. Bei den eingestellten 85 km/h bedeutet das ein Hin und Her zwischen 83 und 87 km/h. Man selbst gewöhnt sich irgendwann dran, die Hintermänner freuen sich vermutlich weniger.

Zum alternativen Antrieb die neue Fahrerhaus-Generation

Außen verteilen sich die Kennzeichen der neuen FH-Generation im Wesentlichen auf drei Punkte: ein größeres Markenlogo, ein flächiger gestalteter Kühlergrill und eine noch schärfere V-Form der Scheinwerfer. Ein Highlight ist die neueste Generation der elektrisch unterstützten VDS-Lenkung (Volvo Dynamic Steering). Verbunden damit ist nicht nur eine aktive Spurrückführung, sondern jede Menge Einstellmöglichkeiten. Im Test blieb es überwiegend bei der Voreinstellung „stabil“, die für eine tendenziell straffe Mischung steht. Immer leicht spürbar, aber letztlich nur Gewohnheitssache ist das leichte Gegenmoment bei aktivierter Spurrückführung. Als etwas nervig erweist sich der „Attention Assist“, der bei lockerer Handauflage auf dem Lenkrad etwas zu oft Alarm schlägt. Unter Umständen geht das System im Wiederholungsfall von einer so geringen Aufmerksamkeitsspanne aus, dass es selbstständig den Tempomaten deaktiviert. Im Zweifelsfall sollte man also hin und wieder das Lenkrad etwas fester packen.

Das Gesamtbild wird dadurch kaum getrübt: Das Fahren ist mit der VDS-Lenkung sehr entspannt, und obendrein geht es im FH LNG angenehm leise zu. Mitunter treten nur deutliche Windgeräusche auf, die bei früheren FH-Testwagen mit äußerer Sonnenblende kaum zu hören waren – die Blende hatte Volvo dieses Mal aber eingespart.

Foto: LZ Media

In den Tripdaten lassen sich Diesel-, LNG- und AdBlue-Verbrauch ablesen

Technische Daten

MOTOR (420/460 PS)

Wassergekühlter Reihensechszylinder (Volvo G13C) mit Wastegate-Turbolader und Ladeluftkühlung, einteiliger Zylinderkopf, eine obenliegende Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, elektronisch gesteuerte Common-Rail-Einspritzung; Euro 6d mit SCR, ungekühlter AGR und Partikelfilter

Bohrung/Hub 131/158 mm

Hubraum 12,8 l

Verdichtung 18,0 : 1

Nennleistung 309 kW/420 PS bei 1.400 bis 1.800/min; 338 kW/460 PS bei 1.700 bis 1.800/min

Maximales Drehmoment 2.100 Nm bei 1.000 bis 1.400/min; 2.300 Nm bei 1.050 bis 1.300/min

Trockengewicht ca. 1.116 kg (Grundmotor)

 

KRAFTÜBERTRAGUNG

Kupplung: automatisierte Einscheiben-Trockenkupplung, 430 mm Durchmesser

Getriebe: Volvo I-Shift AT2612F, automatisiertes Zwölfganggetriebe (Dreigang-Grundgetriebe mit Range- und Splitgruppe); Direktgangausführung

Hinterachse: einfach übersetzte Hinterachse (RSS1344) mit Differentialsperre, Übersetzung 2,47 : 1 (= 1.134/min bei 85 km/h und Bereifung 315/70 R 22,5)

 

FAHRGESTELL

U-Profil-Leiterrahmen, 6,5 mm stark, 3.700 mm Radstand, Vollluftfederung mit ,,aktivem Chassis“ (automatische Absenkung bei 60 km/h), Lenkung: Volvo Dynamic Steering mit aktiver Spurrückführung, 450 mm Lenkraddurchmesser, 4,5 Umdrehungen von Anschlag zu Anschlag, 205-kg-LNG-Tank links, 170-I-Diesel- und 65-I-AdBlue-Tank rechts, Bereifung vorn/hinten: 385/55 R 22,5 / 315/70 R 22,5; Leergewicht (ohne Fahrer) 8.010 kg, Testgewicht 39.880 kg

 

FAHRERHAUS

Globetrotter XL, Fernverkehrsfahrerhaus mit Hochdach, einer Liege (verstellbares Kopfteil, Taschenfederkern) und Staumodul an der Rückwand, Aufhängung: Schraubenfedern vorn, Luftfederung hinten; Ausstattung u.a.: 33-Liter-Kühlbox, dimmbare Innenbeleuchtung, Klimaautomatik mit Sonnensensor, Standklima „I-Park Cool“, Zentralverriegelung mit Fernbedienung, LED-Scheinwerfer mit adaptivem Fern- und dynamischem Kurvenlicht

Außenbreite/-länge 2.495/2.225 mm

Vorderer Überstand 1.365 mm

Höhe Stufen 400/370/380 mm

Gesamthöhe Einstieg 1.540 mm

Frontscheibe/Rückwand 2.060 mm

Innenhöhe vor Sitz/auf Motortunnel 2.030/2.105 mm

Motortunnel (H x B) 90 x 1.040 mm

Liege unten (B x L) 740-815 x 2.000 mm

Liege oben – (Schrankwand)

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